Dienstag, 8. Oktober 2013

Die Ent/fremdung der Welt und ihr bestimmt-unbestimmter Gegensatz.

Rainer Sturm, pixelio.de                                                                                                                                    aus Über Ästhetik, Rohentwurf, 10.

Entfremdung“ - Die Entzauberung der Welt sei (nach Max Weber) Charakter der Moderne, alias bürgerliche Gesellschaft: Rationalisierung, Funktionalisierung; Fungibilisierung, „Aneignung“. - Es ist nämlich so, daß sich der Mensch nicht „zu Hause“ fühlt in einer Welt, die nicht fremd, sondern „seine eigne“ ist! Die Besonderheit in der Gattungsgeschichte von Homo, der Kick, der die Hominisation ‚in Gang gesetzt’ hat, war sein Austritt aus dem vertrauten Urwald in die fremde Baumsavanne Ostafrikas: aus der Umwelt-Nische in die Welt. Die fremde Welt ist wesentlich reizend! Je weiter die (‚ökonomische’) Arbeit die ‚Welt’ wieder zur bloßen Umwelt fungibilisiert, banalisiert hat, umso mehr mußte die ('ästhetische') Kunst an deren Fremdheit erinnern. Eibl-Eibesfeld mutmaßt, die weltweite (!) ästhetische Vorliebe für den Landschaftsgarten (von Claude Lorrain bis Japan) sei ‚nichts anderes’ als eine genetisch eingeprägte Erinnerung an die ostafrikanische Baumsavanne vor 2 Mio. Jahren...

Das Ästhetische (zweckmäßig ohne Zweck) ist also der bestimmte Gegensatz des Ökonomischen (zweckmäßig mit Zweck). Es ist derjenige ‚Teil’ (‚Dimension’) der Welt, der nicht-angeeignet ist; nicht beherrscht (quantitativ); nicht beherrschbar (qualitativ). -
 
Kunstart.net, pixelio.de

Das Nicht-Beherrschte ‚zerfällt’ in einen Teil, der „so angesehen wird, als ob“ er eines Tages beherrscht sein wird (und ergo virtuell schon bestimmt ist), und einen andern Teil, der so erscheint, als werde er nie beherrscht und nie bestimmt sein: als in bestimmter Weise unbestimmt; und eo ipso als Rätsel. Dieser Gegensatz ist nicht ursprünglich. Ursprünglich ist die ‚Welt’ nur eine.

- Nota: Die Welt (wereld: dort, wo die Menschen sind) ist eher da als die „Umwelt“! Der Mensch ist nicht nur das einzige Lebewesen, das „Welt hat“, sondern auch das einzige, das ‚von Natur’ keine Umwelt hat (hat Pleßner übersehen). Nämlich seit er seinen heimischen Regenwald verlassen und in die offene Savanne „übergelaufen“ ist und eine vagante Lebensweise angenommen hat: Die Savanne ist ihm keine „Umwelt“, ist keine „Nische“ [er hat sich ihr nicht durch ‚natürliche Zuchtwahl’ evolutiv angepaßt], sondern der Weg zwischen den möglichen Nischen; Zwischenraum, in dem er sich immer nur vorübergehend niederläßt, aber nicht einrichtet! In ihr bleibt er immer „fremd“, aber in unbestimmter Weise, weil er den bestimmenden Gegensatz „Zuhause“ (noch) gar nicht (mehr) kennt. [Erste (?) Fixpunkte: die rituell genutzten und bemalten Höhlen! Auch erste „Kunst“: Ästhetik jenseits der alltäglichen ‚Welt’...] -

Eine ‚Umwelt’, in die er ‚hineinpaßt’, weil er hinein gehört, muß er sich erst selber schaffen: Seßhaftigkeit, Ackerbau, Arbeit! Retour à la case départ: Dort, wo er arbeitet, ist die Welt bestimmt, oder immerhin bestimmbar. Was jenseits der Arbeit („Praxis“) liegt, läßt sich allenfalls betrachten („Theorie!); welches die ästhetische Anschauungweise ist. -

Die Vorstellung des positivistischen Jahrhunderts: den Raum der Arbeit ausdehnen, bis er mit den Grenzen der Welt zusammenfällt; „Entzauberung“, sagt Max Weber. Die Welt aneigenen: Zu meiner Umwelt fungibilisieren; „bestimmen“. (DDR!)
 
gnubier, pixelio.de
 
Was aber nicht-bestimmbar ist, läßt sich nicht ex ante definieren, sondern nur ex post praktisch erweisen, negativ: indem man das Bestimmen versucht und daran scheitert. Was das Ästhetische sei, „zeigt sich“... Zuerst war die Welt nur unbestimmt. Ihren Rätselcharakter gewinnt sie mit fortschreitender Bestimmung - als der widerständige Rest, caput mortuum; und der wird eo ipso immer bestimmter - als unbestimmt; d. h. als Rätsel...

 


 
 

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