Montag, 10. Februar 2014

Oder war der Expressionismus doch eine deutsch-französische Beziehungstat?

aus Badische Zeitung, 10. 2. 2014                           Robert Delaunay, Les Fenêtres sur la ville (1ère partie, 1ers contrastes simultanés), 1912

Züricher Kunsthaus zeigt Expressionismus in Deutschland und Frankreich
"Von Matisse zum Blauen Reiter" heisst die Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Los Angeles County Museum of Art entstanden ist. 

von Volker Bauermeister

Ein deutscher Sonderweg? Noch heute wird der Expressionismus ja gern als spezifisch deutscher betrachtet – und dieser als der nationale Beitrag zur Kunst der Moderne. Dass man da durchaus anderer Ansicht sein kann, will die Ausstellung "Von Matisse zum Blauen Reiter" zeigen. Im Kunsthaus Zürich ist sie zu sehen, in Zusammenarbeit mit dem Los Angeles County Museum of Art ist sie entstanden. Auf den Forschungen von Timothy O. Benson basierend, erzählt sie – unter Verwendung viel dokumentarischen Materials – eine deutsch-französische Beziehungsgeschichte in den Jahren vor 1914. Was hat man damals in Deutschland von der Kunst Frankreichs gesehen?

Paul Cézanne,  Le moulin sur la Couleuvre à Pontoise; Hugo v. Tschudis Erwerbung für die Nationalgalerie im Jahr 1897 

Fensterblick und Tugendpfad

Gleich nachdem Hugo von Tschudi 1896 die Nationalgalerie in Berlin übernommen hatte, reiste er nach Paris: einen großen Manet einkaufen. Und kurz darauf fand gleichfalls durch Tschudi – selbst in Frankreich sorgte dies für Aufsehen! – ein allererster Cézanne in ein Museum. Vorboten einer neuen Kunstauffassung – und dieses in einem Haus, das die Inschrift "Der deutschen Kunst" im Giebel trug! Der Kaiser schäumte. Und in der kleinen Industriestadt Hagen eröffnete Karl Ernst Osthaus unterdessen sein Folkwangmuseum und träumte von ästhetischer Erziehung im neuen Stil; Henri Matisse besuchte den Avantgarde-Sammler auf einer seiner Deutschlandreisen.

 Henri Matisse Le goûter. Golfe de St.Tropez 1904

Die überragende Rolle Frankreichs erklärte der Kunstschriftsteller Julius Meier-Graefe in seiner "Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst". Nicht ohne Echo. Auch der junge Maler August Macke kaufte sie sich und empfahl sie dem "Onkel" Bernhard Koehler: "das beste Buch zur Einführung". In Koehler gewann die Moderne dann noch einen Sammler von Format und die Kunst des Blauen Reiters einen Sponsor. Und Macke selbst, der 1907, vom südbadischen Kandern aus, zum ersten Mal nach Paris gereist war, wurde zum "Kunstpolitiker" in dieser Vorkriegszeit. Als Mitglied beim Blauen Reiter, mit der Arbeit an der Kölner Sonderbundausstellung , die 1912 die Phalanx der Moderne versammelte, und für den Ersten Deutschen Herbstsalon in der Berliner Galerie Der Sturm, der 1913, am Vorabend des Krieges, ein multinationales Bild der aktuellen Kunst skizzierte. Ein Funke war übergesprungen.

Kees van Dongen, Modjesko, Soprano Singer, 1907

Die Ausstellung setzt eine Leinwand von Kees van Dongen an den Anfang. Der Holländer war in Paris im Kreis jener Künstler um Matisse gewesen, die den Kritiker Vauxcelles zu dem Wort anregten, das dann zum Gruppennamen und zum kunsthistorischen Begriff wurde: "les fauves" (die wilden Tiere). Van Dongen, dessen "Sopranistin" wir hier sehen – ein Bild einer Frau in hohen Tönen, mit einer Aura in Zinnoberrot und safrangelbem Inkarnat –, van Dongen ist ein Bindeglied zur deutschen Szene. 1909 trat der Fauve der Dresdner Brücke-Gruppe um Ernst Ludwig Kirchner bei.

van Gogh, Kopfweiden bei Sonnenuntergang, 1888

Ein starker Impuls für die Ausdruckskunst waren die Werke eines anderen Holländers, Vincent van Goghs, gewesen. Was da passiert war, das hat, wie Benson meint, Werner Haftmann treffend ausgedrückt: Die Deutschen traf es "wie ein Blitzschlag". Van Gogh findet sich in Zürich unter anderm neben Matisse an der den Bührle-Saal der Länge nach teilenden "Pariswand". Und neben Gauguin hängt da Paula Modersohn-Becker, die in Paris von dessen kraftvoller Farbzellenmalerei angeregt wurde. Das koloristische Pendant zu André Derains "Boote im Hafen von Collioure" von 1905 liefert Ernst Ludwig Kirchner. Und 1910 war er es, der das Plakat zur Gauguin-Ausstellung in der Dresdner Galerie Arnold beisteuerte. Er schnitt das Porträt, das Gauguin von seiner Mutter malte, mit Verve in Holz. Das Gemälde aus Stuttgart hängt dem Druck gegenüber, der nicht zuletzt die Kenntnis der Holzschnitte Gauguins verrät.

André Derain, Boote im Hafen von Collioure, 1905

Auch in der Darstellung jener anderen Künstlergruppe des deutschen Expressionismus, des Blauen Reiters, sind dessen französische Fixpunkte präsent: Robert Delaunay und Henri Rousseau. Den Außenseiter Rousseau griff Wassily Kandinsky begeistert auf und konstruierte in seinem Essay "Über die Formfrage" im Blauen-Reiter-Almanach, dieser bedeutenden Programmschrift der frühen Moderne, einen von seinem eigenen, der Abstraktion, abweichenden Kunstweg einer "kunstlos" eindringlichen "Realistik". Maßstab ist für ihn hier wie dort: Authentizität.

Henri Rousseau, Der Hühnerhof, 1896-1898

Delaunay war Rousseaus Mittelsmann – und wirksam vor allem durch das eigene Beispiel eines koloristischen Kubismus: eines bildautonomen Beziehungsmusters der Farben. Die Deutschen besuchten ihn in Paris; Paul Klee übersetzte seinen Text über das Licht. Die Ausstellung stellt seinem "Die Fenster zur Stadt" [s. Kopfbild] mit den rhythmischen Reflexen des Eiffelturms und eines Riesenrads Franz Marcs "Steinigen Weg" gegenüber. Und es wird da sowohl der Einfluss des Franzosen deutlich als auch ein Unterschied. Marc übernimmt den strukturalen Grundgedanken. Doch Delaunays von Macke so geschätzten weltoffenen Sensualismus kontert er mit Neo-Romantik. Der kristallin idealisierte "Steinige Weg" ist ein Tugendpfad, der zur Sonne, zur Freiheit führt.

Franz Marc, Steiniger Weg (Gebirge/Landschaft), 1911 (übermalt 1912)

Wie Delaunay, so hat auch Matisse in Deutschland einen Beitrag zum Bilddenken geleistet. Und wie bei Delaunay, so lässt sich auch an seinem Beispiel die Differenz der Kunstkonzepte zeigen. Seine "Notizen eines Malers", die schon 1909 in der Zeitschrift Kunst und Künstler in deutscher Übersetzung vorlagen, sind eine expressionistische Denkschrift. Matisse erklärt darin die Form als Ausdruckswert: das Bild als etwas "Künstliches", das "ein Gefühl von Leben" repräsentiere. Dies nimmt Macke auf: "Der Mensch äußert sein Leben in Formen", schreibt er 1911 in seinem Beitrag zum Almanach.

Karl Schmidt Rottluff, Gartenstrasse früh morgens, 1906

Als der Austausch ein Ende fand

Matisse, der von der "Kondensierung von Empfindungen" spricht, zeigt sich aber auch um Objektivierung bemüht. Das Bild des "Wilden" korrigiert er. Der Spontaneität der Ausdruckskunst setzt er die Forderung nach Bedachtsamkeit entgegen. Ausdruck ist ihm nicht gleich Eruption. Am Ende zählt denn doch die Qualität, die Gültigkeit der "Wiedergabe".

Schmidt-Rottluff, Deichdurchbruch

Das widerspricht dem deutschen Expressionismus. Nicht viele denken "französisch" wie Macke. Kirchner und seine Freunde vertreten eine instinktbetonte Praxis. Und auch die Programmatiker des Blauen Reiters, Kandinsky und Marc, sind glühende Subjektivisten. Ausdruck bestimmt sich ihnen in höchst bewegten Sehnsuchtsbildern einer geschichtlichen Wende, Entwürfen einer idealen Gegenwelt. Die Ästhetiker sind Glaubensstreiter. "Es gibt keine große und reine Kunst ohne Religion", predigt Marc. Von solchen Bekenntnissen trennen Matisse oder Delaunay Welten. Matisse spricht von der Kunst in jener aufgeregten Zeit als einer Art "Lehnstuhl". Die Münchner Vorreiter sehen sich in ihrem "Kampf um die Kunst" auch im Kampf für eine bessere Welt. Und der reale Krieg war für Marc fataler Weise auch nichts anderes als ein Läuterungsritual: "Um Reinigung wird der Krieg geführt . . ." Der große Künstleraustausch endete in den Schützengräben in Frankreich.

Kunsthaus Zürich. Bis 11. Mai, Di, Fr bis So 10–18, Mi, Do 10–20 Uhr. 

Wassily Kandinsky Fragment zu Komposition II,1910


Nota.

Das gibt es also auch: Die Badische Zeitung aus Freiburg i. Br. sticht die Neue Zürcher aus - und ausgerechnet mit einem Beitrag über ein Kunstereignis in... Zürich! Volker Bauermeisters Beitrag über die dortige Expressionismus-Ausstellung ist nicht nur faktisch informativer, sondern in ästhetisch-kunstgeschichtlicher Hinsicht auch aufschlussreicher als der Bericht im einzigen Weltblatt deutscher Zunge. Das ist der Beachtung wert.
JE 

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