Sonntag, 9. Februar 2014

Retrospektive der Berlinale: Ästhetik der Schatten.

aus NZZ, 7. 2. 2014                                                                                             Clarence Brown, Flesh and the Devil, 1926.

Malen mit Licht
Die Retrospektive der Berlinale widmet sich unter dem Titel «Ästhetik der Schatten» Beleuchtungsstilen

von Jörg Becker · Bedeutete Beleuchtung in den Anfangsjahren des Kinos noch, eine Szene möglichst hell und gleichmässig auszuleuchten, damit alles gut erkennbar sei, entwickelte sich seit Ende der 1910er Jahre eine Tendenz zu bewusster Setzung «filmischen Lichts», der die Deutsche Kinemathek mit ihrem diesjährigen Programm in Kooperation mit dem New Yorker Museum of Modern Art nachspürt. «Malen mit Licht» - so der Titel eines Buches des Kameramanns John Alton (1948) - wurde fortan zu einer eigenen Gestaltungskunst des Films. Lichtsetzung modellierte die Szene, arrangierte das Dunkel, verfremdete Gesichter, sie liess Gestalten aus Schattenräumen hervortreten, kultivierte die Silhouette, verlieh Körpern Plastizität und brachte die Kunst des «low key» zur Blüte, ein hochdifferenziertes Helldunkel - sichtbar an frühen Beispielen von Cecil B. DeMille, «The Cheat» (USA 1915), und Benjamin Christensen, «Die Nacht der Rache» (Dänemark 1916).

Benjamin Christensen, Die Nacht der Rache (Dänemark 1916)

Die Malerei als Inspiration

Wechselbeziehungen zwischen Hollywoods avancierter Lichtästhetik und nationalen Traditionen haben sich über verschiedene Genres hinweg ausgebildet. So macht die Retrospektive an Beispielen des Kriegsfilms - etwa «Air Force» (USA 1943, Howard Hawks), in dem die Arbeit einer Bomberbesatzung bei Nacht dargestellt wird, oder «Westfront 1918» (Deutschland 1930), Georg Wilhelm Pabsts Weltkriegsfilm im Dunkel der Unterstände - deren Verwandtschaft in Sachen Licht-und-Dunkel-Arrangement mit Exponenten des deutschen sozialkritischen «Strassenfilms» - «Die freudlose Gasse» (1925, G. W. Pabst) oder «Unter der Laterne» (1928, Gerhard Lamprecht) - zwischen Vergnügungsvierteln, Hinterhöfen und Strassenstrich anschaulich. Darüber hinaus weist sie bildästhetische Affinitäten mit dem amerikanischen Gangsterfilm seit Josef von Sternbergs «Underworld» (1927) bis zu Vertretern des Film noir wie «The Naked City» (USA 1948, Jules Dassin) nach und gelangt schliesslich zu den in den zwanziger Jahren in Japan sehr populären «jidaigeki» (Historienfilme der vormodernen Periode) mit ihren Glanzlichtern auf Augen und Haaren, dem Aufblitzen von Schwertern der Samurai in fahlem Mondlicht.

Die freudlose Gasse (1925, G. W. Pabst)

Die seinerzeit unverhohlene Bewunderung japanischer Cineasten für Friedrich Wilhelm Murnau und Josef von Sternberg wird an Filmbeispielen wie Teinosuke Kinugasas «Jujiro / Im Schatten des Yoshiwara» (1928) augenscheinlich, dem ersten japanischen Film, der in deutsche Kinos gelangte und aufgrund der «entfesselten Kamera» auf begeisterte Kritiken stiess. Das spätere goldene Zeitalter des japanischen Kinos - herausragend: «Rashomon» (1950, Akira Kurosawa), «Ugetsu Monogatari» und «Sansho Dayu» (beide 1953, Kenji Mizoguchi), alle aufgenommen von Kazuo Miyagawa, von dem die Filmschau unbekanntere Beispiele zeigt - bediente sich der Schattentechnik als Fortsetzung tradierter japanischer Ästhetik.

Teinosuke Kinugasa, Jujiro - Im Schatten des Yoshiwara (1928)

Eine besondere Würdigung erfährt die Beleuchtungsästhetik des deutschen Kameramanns Eugen Schüfftan, für den das Filmbild immer eine subjektive, interpretative Kategorie darstellte und der im französischen und amerikanischen Exil seine Prägung hinterliess. Schüfftans Orientierung an Rembrandt, an Caravaggio, aber auch an Max Beckmann lässt sich an Filmbeispielen studieren.

Augen ohne Gesicht, Regie Georges Franju, 1960; Kamera  Eugen Schüfftan

Ausleuchtung der Diven

Schliesslich bringt die Reihe das «Starlight» für Greta Garbo und Marlene Dietrich zur Anschauung, den Wettstreit um zwei Ikonen mit den Waffen des Lichts. Sternbergs Kameramann Lee Garmes hatte bereits während der Arbeit am Paramount-Picture «Morocco» (USA 1930) für die Dietrich ein Licht gesucht, das sich von der seitlichen Beleuchtung, mit der William Daniels für MGM die Garbo umgab, absetzte. Ein von oben steil einfallendes Führungslicht, ihr Gesicht geheimnisvoll skulptural aushöhlend, verschattend, sollte fortan zum Markenzeichen Marlene Dietrichs werden. Auch Garmes soll dieses Licht der Helldunkelmalerei Rembrandts abgeschaut haben; er nannte es «Nordlicht».

Katalog: Ästhetik der Schatten. Filmisches Licht 1915-1950. Hrsg.: Connie Betz, Julia Pattis und Rainer Rother. Schüren-Verlag, Marburg 2014. 160 S., zahlreiche Abb., Fr. 29.90.

 Morocco (USA 1930, dir. Josef von Sternberg)  Adolphe Menjou and Marlene Dietrich

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