Mittwoch, 14. Mai 2014

Graphikmappen der klassischen Moderne in Stuttgart.

aus Badische Zeitung, 24. 4. 2014                                                                                      Paul Klee, aus der Sema-Mappe

Publizierter Plural
"Kandinsky, Klee, Schiele": Graphikmappen in der Staatsgalerie. 

von Volker Bauermeister

"In diesem Sommer hat sich in München eine Gruppe junger Künstler zu einer Vereinigung zusammengetan, die den Namen Sema, ,das Zeichen‘, führen sollte. Ich gehöre zu diesen Gründungsmitgliedern . . ." In Paul Klees Tagebuch- notiz im Herbst 1911 mischt sich der gewohnt satirische Ton: "In einem hübschen Klübchen waren wir ein paarmal zusammengekommen und waren über Greco einig und darüber, dass wir alle kein Geld hatten." Klee vergisst aber auch einen Gruppenbeschluss nicht zu erwähnen: "die Herausgabe einer Mappe mit Original-Graphik". 1912 im Münchner Delphin Verlag erschienen, ist sie das einzige, was von Sema übrig ist. 1914 kaufte Erich Willrich für die Stuttgarter Staatsgalerie ein Exemplar. An den "zukunftweisenden Ankauf" erinnert das Museum jetzt nach 100 Jahren. Eine Kabinettausstellung und eine bibliophile Bestandspublikation arbeiten dabei gleich ein Kapitel der Kunstgeschichte auf: "Graphikmappen des frühen 20. Jahrhunderts". 

Egon Schiele, Selbstbildnis, aus der Sema-Mappe

Von einer "Graphik-Welle" ist die Rede, der Kunsthistoriker Leopold Zahn sprach gar von einer "graphischen Sturmflut". Die Druckgraphik war aus der dienenden Rolle der Reproduktion befreit und selbst zum beliebten Ausdrucksmittel geworden. In der Mappe gewann sie eine Publikationsform hinzu. Die Blättersammlung war ein Spiegelbild der künstlerischen Zusammenschlüsse, der Gruppenbildungen und Programmatiken in dieser Zeit des Umbruchs. An die Mappe band sich Hoffnung. Wenngleich sie sich bei Klee, Sema betreffend, mit Skepsis mischt. "Nun, es ist wenigstens einmal ein Zeichen, dass man doch nach außen nicht ewig isoliert bleiben wird, ein schwacher Anfang, sich zusammenzuschließen. Nach innen sehe ich wenig Zusammenhang." Unter den paar an Sema beteiligen Namen, die Klee im Tagebuch einfallen, ist nur Alfred Kubin heute ein Begriff. Wer kennt noch Karl Caspar? Während der von Klee gar nicht erwähnte, dazumal erst 21-jährige Egon Schiele allerdings zu den Großen zählt.

 Karl Caspar, Taufe des Johannes; wann?


Eine Brücke für Paul Klee

Klee, Schiele, Caspar . . ., was sich im Graphik-Kabinett der Staatsgalerie aneinanderreiht, darf man als heterogen bezeichnen. Und die Sema-Gruppe, die die Blauen Reiter in München ernstlich als Konkurrenz empfanden, war dann doch nur die Erscheinung eines Moments. Klee und Kubin fanden zu den "Reitern" Kandinsky und Marc. Und strahlkräftiger als die Sema-Mappe sind die Bauhaus-Drucke gewesen, die dann in der Zeit, als Lyonel Feininger in Weimar Leiter der Druckwerkstatt war, in den frühen 1920er Jahren, einen Überblick über die "Neue Europäische Graphik" geben wollten.
 
Kandinsky, Komposition,1922, Farblithographie aus der IV. Bauhaus-Mappe 

Dass die zwischen 1906 und 1911 von den Künstlern der Dresdner Brücke an die zahlenden passiven Mitglieder ausgegebenen Mappen in der Stuttgarter Sammlung fehlen, ist insofern verwunderlich, als der in den Jahren vorm Ersten Weltkrieg für die Graphische Sammlung zuständige Erich Willrich vom Deutschen Buchgewerbemuseum in Leipzig kam, das als Institution zu den Brücke-Sponsoren zählte. Unverzichtbares Dokument der lokalen Stuttgarter Kunstgeschichte allerdings ist die von Oskar Schlemmer und Willi Baumeister initiierte und Paul Klee gewidmete "Üecht"-Mappe von 1919. Die Künstler wollten Klee, den sie sich als Nachfolger Adolf Hölzels als Akademielehrer in Stuttgart wünschten, eine Brücke bauen. Wie man weiß, bekam er in Stuttgart dann doch keine Chance – und ging stattdessen ans Bauhaus.

Oskar Schlemmer, Figuren, 1919, aus der Üecht-Mappe, Lithographie,

Die Ausstellung zu den Graphikmappen als "Kunstform der Moderne" schließt neben den genannten Sammelmappen auch jene ein, die einzelnen Künstlern gewidmet waren. Kandinskys "Kleine Welten" von 1922 hebt sie hervor, die auf zwölf Blättern – Lithographien, Holzschnitten, Radierungen – ein großes formales Spektrum entwerfen. Zwischen spontaner Handschrift und rationaler Geometrie, Komposition und Improvisation, Struktur und Streumuster, üppiger Sinnlichkeit und linearer Sprödigkeit – Informel avant la lettre und gar auch schon Op Art. Kunst eines Formdenkers: In kein Stilmuster lässt sie sich drängen.


Aus Wassily Kandinskys Mappe Kleine Welten

So ist diese Mappe eines einzigen Autors auf eine Art denn auch eine Sammelmappe. Und das lässt sich durchaus exemplarisch verstehen: Die Moderne zeichnet nicht nur einen Weg zur Abstraktion, vielmehr auch eine Weggabelung in die Pluralität der Stile. Die Darstellung der einen Welt kontert sie mit einer Fülle von Weltentwürfen. Die Mappe, die Suite, ist ein probater Transporter der neuen Vielfalt.

Staatsgalerie Stuttgart. Bis 29. Juni, Di bis So 10–18, Do 10–20 Uhr.

 
Die Sema-Mappe

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