Dienstag, 17. Juni 2014

Das Interesse der Alten Holländer für ihre Landschaft.

aus nzz.ch, 11. Juni 2014, 05:30                                                                                            Pieter Snayers Belagerung von Gravelines, 1653 

«Mapping Spaces» in Karlsruhe
Zum Sehen geboren, zum Schiessen bestellt



Von der in ihrer Existenz gefährdeten Landschaft ist heute immer wieder die Rede. Berichte von absterbenden Wäldern, eingestürzten Bergwerken, verlegten Flussbetten kann man regelmässig lesen. Eine Situation, zu der es eine Vorgeschichte gibt. In einer Ausstellung in Karlsruhe ist sie zu besichtigen.

Landschaft ist das externe Zuhause des Menschen. Eine Selbstverständlichkeit, über die er manchmal erst nachzudenken beginnt, wenn er dieses Zuhause verlässt. Oder es verliert, zum Beispiel durch Eingriffe anderer Menschen, die Häuser abreissen, Bäume fällen und Hochhäuser errichten.

Jacob van Ruisdael, Ansicht von Naarden, 1647

Landschaft ist ein realer, aber auch ein hochgradig emotionaler Ort. In der Literatur und Malerei gibt es seit dem 18. und besonders im 19. Jahrhundert vor allem in Nordeuropa eine intensive Widerspiegelung dieses Phänomens, das schwärmerisches Entzücken hervorruft, durch plötzliche Naturkatastrophen das Leben aber auch erschweren und gefährden kann. In England, dem wir die Vermählung von Natur und Kultur unter dem Namen «englischer Garten» verdanken, gibt es nicht nur die «landscape», sondern auch die «seascape», man ist ja schliesslich eine Insel, und was für eine. In Deutschland hat die Begegnung von Kunst und Landschaft mit Caspar David Friedrich den romantischen Maler par excellence gefunden. Friedrich, ein schweigsamer und introvertierter Mann, hinterliess keine grosse Theorie, aber einen bekenntnishaften Satz: «Schliesse dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehst dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es zurückwirke auf andre von aussen nach innen.»

Johannes-Klencke-Atlas, 1660 erschienen

Was hinter dem Horizont liegt

Eine Gebrauchsanweisung für das Sehen (und Malen), die man sich in den nachbarlichen Niederlanden nicht vorstellen kann, egal, in welchem Jahrhundert. Und auch nicht die der Innenansicht von Friedrich entsprechenden Bilder, den «Wanderer über dem Nebelmeer» (1818) oder die junge «Frau am Fenster» (1822), die für Friedrich typischen Rückenansichten, wir schauen mit den Menschen ins Land, in die Ferne, keiner weiss, was hinter dem Horizont liegt. Wohingegen zum Beispiel in Vermeers sorgfältig inszenierten Interieurs die verschwiegene Poesie oft hinterfangen ist von einer als Wanddekoration dienenden Landkarte, zum Beispiel auf dem Bild «Die Malkunst» (1666).

Adam Frans van der Meulen, Die Truppen von Ludwig XIV. vor Naarden am 20. Juli 1672, 1672–1690.

Zu diesem Realitätssinn passt es auch, dass man in den Niederlanden, die ihren bildnerischen Reichtum gern in der Formel des «Goldenen Zeitalters der Malerei» akkumuliert sehen, ein sehr neues, auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gegründetes Gebiet künstlerischer Betätigung erkannt und ausgebaut hat. In der Ausstellung «Mapping Spaces – Netzwerke des Wissens in der Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts» im Museum für Neue Kunst des ZKM Karlsruhe ist diese Kunst der weit geöffneten Augen samt der sie unterstützenden Werkzeuge und Instrumente sowie der naturwissenschaftlichen Schriften und philosophischen Traktate neu zu entdecken.


Auch hier geht es selbstverständlich und mehr denn je um Gold, aber nicht als metaphorische Nobilitierung, sondern als reales Ergebnis von Landeroberung und Landgewinnung, Macht- und Besitzmaximierung. Dass dabei ein Krieg die Forschung begünstigt hat, mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen dann gleichzeitig die Menschen bedroht, vertrieben und oft auch vernichtet wurden, ist nach den Erfahrungen zweier Weltkriege keine Neuigkeit mehr, wird aber durch den 1568 von den spanischen Habsburgern geführten Krieg gegen die calvinistisch gesinnten Niederländer, der erst 1648 mit dem Westfälischen Frieden endete, zum ersten Mal in der Kunst sichtbar.

Jacques Callot, Die Belagerung von Breda

Die im Halbdunkel der Räume und im Wechsel von Bildern, Folianten und Objekten installierte Ausstellung beginnt mit dem Sonderauftritt eines Durchschnittsbildes, Jacob van Ruisdaels «Ansicht von Ootmarsum». Ein Kirchturm ragt in einer wohlgeordneten Landschaft Orientierung gebend in den stark bewölkten Himmel. Die minimale Irritation folgt dann bei Ruisdaels «Ansicht von Haarlem von den Dünen bei Overveen». Hier ist zum Ende der eher geschichteten als akkumulierten Landschaft eine leichte Krümmung des Horizonts wahrzunehmen. Dass man aber aus solchen für das Besucherauge doch recht unspektakulären Ansichten neue, kopernikanische Weltbilder erahnen, dass man hier auch meteorologische Informationen ablesen kann, sieht nur der Fachmann (in diesem Fall Franz Ossing, von dem ein Katalogbeitrag zur Meteorologie in der Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts stammt).

David Teniers der Jüngere, Ansicht der Stadt Valenciennes 1656

Topografie der Schlachten

Bei Pieter Snayers, dem mit vier grossen Bildern am häufigsten präsenten Künstler, lassen schon die Titel keinen Zweifel an seinen Ambitionen. «Die Belagerung von Gravelines vom 11. April bis 17. Mai 1652», «Die Schlacht von Kirchholm», «Der Entsatz von Meissen» und «Der Entsatz von Löwen» weisen ihn als versierten Maler der Topografie der Schlachten und Belagerungen aus, der bei diesen Ereignissen nie dabei war, dafür aber Kriegsberichte und Landkarten kannte und durch erzählerische Ergänzungen im Bild auch die Auftraggeber ins rechte Licht zu setzen wusste. – In der Karlsruher Ausstellung sind die wunderbaren, die Präzision, mit der sie funktionieren sollen, selber ästhetisch verkörpernden Instrumente eine sinnlich dreidimensionale Ergänzung zu den Bildern, in denen, das war die Aufgabe der Künstler, der ökonomische und geopolitische Zeitgeist dokumentiert und nicht interpretiert wurde. Und da gewinnen die Messinstrumente, mit denen der Himmel abgefragt und die Erde vermessen wurde, da gewinnen Jakobsstab und Seeastrolabium, Quadrant und Linsenfernrohr, Reduktionszirkel und Triangularinstrument unter Glasstürzen oder in Vitrinen die Aura kostbarer Preziosen. Und sind doch auch die Werkzeuge einer geodätischen Vermessung zum Zwecke politischer Kontrolle und Annexion.


Mit Hilfe dieses Instrumentariums wurde von Karl V. der Auftrag erteilt, in den Niederlanden Städte, Dörfer, Flüsse, Kanäle, Landstriche und Zufahrtswege zu vermessen. Der Kartografierung folgte parallel zu den kriegerisch politischen Intentionen eine bereits früher begonnene, aber nun systematisch betriebene Landgewinnung. Land wurde geflutet oder dem Meer abgewonnen, je nachdem. Eine über weite Strecken geometrisierte Polder-Landschaft entstand. Bei Betrachtung eines Bildes, auf dem unter einem schmalen Himmelsstreifen der dunkle Boden mit hellen Linien quadriert ist wie das Papier in einem Rechenheft, kommt der Gedanke an Mondrian wie von selbst.

Pieter Wouwerman, Die Stürmung Coevordens am 30. Dezember 1672 1672–1682

«Schussraum und Sehraum»

Mit dem Umbau der Landschaft verändert sich auch die den neuen Notwendigkeiten und kriegerischen Absichten adäquate Architektur. Stadtmauern werden zu Festungswällen aufgerüstet, polygonale Festungsmodelle auf Papier entworfen. In seinem Katalogtext «Die Landschaft des Ingenieurs», in dem Wolfgang Pircher den kriegsbedingten Umbau der niederländischen Landschaft und der Befestigungen der Städte beschreibt, konstatiert er das finale «Zusammenspiel von Schussraum und Sehraum». Goethes Türmer, «zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt», ist mit einem Fernrohr, dann mit Gewehr und Kanone bewaffnet. Heutzutage kann die bildgesteuerte Zielerfassung, das zeigt zum Schluss der Ausstellung Harun Farockis Doppelprojektion «Auge-Maschine» (2003) mit Sequenzen aus dem ersten Golfkrieg, mithilfe von Drohnen elektronisch umgesetzte, präzise Vernichtungsarbeit leisten.

Schulwandbild Holländische Polderlandschaft

«Der Blick von oben ist politisch», schreibt Andreas Beitin im Katalog, die Durchsetzung entsprechender Absichten findet im Luftraum statt. Kartografen machten den Umbau der Landschaft möglich. Künstler hielten diese Veränderungen im Bild fest und überwölbten sie durch neu akzentuierte Horizontlinien und Himmelsblicke, zu denen das heliozentrische Weltbild von Nikolaus Kopernikus den Hintergrund bot. Heute kann sich ein japanischer Blumenfreund mithilfe von Google Earth über den Stand der Rosen in Angela Merkels Garten informieren. ...

Mit der von Ulrike Gehring und Andreas Beitin konzipierten Ausstellung «Mapping Spaces» hat man im Karlsruher ZKM wieder einmal ein neues Kapitel der Künste im technischen Zeitalter aufgeschlagen.

Mapping Spaces – Netzwerke des Wissens in der Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts. ZKM-Museum für Neue Kunst, Karlsruhe. Bis 13. Juli 2014. Der umfangreiche Katalog wird im Hirmer-Verlag, München erscheinen.

David Vinckboons, Ein Geograf, o. J.

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