Dienstag, 19. Mai 2015

Frei Otto.

aus Tagesspiegel.de, 16.05.2015 00:00 Uhr

Architekt der Leichtigkeit
Am Freitag wurde in Miami der renommierte Pritzker-Preis posthum an den Architekten Frei Otto verliehen. Der deutsche Baumeister starb im März 2015 im Alter von 89 Jahren, kurz vor Bekanntgabe der Ehrung. Der deutsche Bundesaußenminister ehrt Otto in einer Hommage.

Von Frank-Walter Steinmeier

"Wir wollen mehr Demokratie wagen." Willy Brandts historisches Plädoyer bei seinem Regierungsantritt 1969 war das Aufbruchssignal für die gesellschaftliche Erneuerung der bis dato strukturell und mental in der Adenauer-Zeit verharrenden Bundesrepublik. Willy Brandt verband damit den Anspruch auf Mut zur Öffnung der Gesellschaft, zu ihrer Modernisierung in allen Bereichen.

Deutscher Pavillon auf der Wetausstellung 1967 in Montreal

Aufbruch, Öffnung, Transparenz, Neues wagen – für all dies steht auch das Werk von Frei Otto, der nun posthum mit dem Pritzker-Preis geehrt wurde, einem der weltweit wichtigsten Architektur-Preise. Wer die laufende Weltausstellung in Mailand besucht, kommt an der Ästhetik des deutschen Pavillons mit seinen Membrandächern, die an keimende Pflanzen erinnern, und seinen Membranflächen mit organischen Fotovoltaik-Zellen nicht vorbei. Diese Art der humanen, geradezu schwerelosen Architektur wäre undenkbar ohne Frei Otto.


Der Sieg der Leichtigkeit über die Schwerkraft

Architekten müssen Visionen haben und die Fähigkeit, sie in exakte Grundrisse, in Räume, Häuser, Städte umzusetzen. Sie müssen das große Ganze und zugleich das kleine Machbare im Kopf haben, müssen zugleich Künstler und Handwerker sein. Ein solcher Künstler und Handwerker war Frei Otto, einer der ganz großen Baumeister des 20. Jahrhunderts, prägend für Generationen von Architekten. Frei Otto ersann bis dahin nie gesehene schwerelose Dachkonstruktionen, allesamt Utopien baulicher Leichtigkeit. Er gab der gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung in Deutschland einen architektonischen Ausdruck, der international für Furore sorgte. Der deutsche Pavillon der Expo 1967 in Montreal, die Mannheimer Multihalle mit ihrer organischen Struktur, die umgedrehten Schirme für die Pink-Floyd-Tournee und insbesondere das Olympiadach in München 1972 wurden zu baulichen Ikonen, zum Sieg der Leichtigkeit über die Schwerkraft, wie Renzo Piano unlängst feststellte.
München, Olympiastadion

Architektur muss die Zeit überstehen, muss relevant bleiben über Jahre und Moden hinweg. In diesem Sinne hat Frei Otto Wegweisendes geschaffen. Der Pritzker-Preisträger Shigeru Ban, der zusammen mit ihm den japanischen Pavillon bei der Expo 2000 in Hannover entwarf, sagte einmal treffend, Frei Otto habe nicht die Ziegelsteine, sondern die Luft gefragt, was sie werden wolle.

Architektur für Menschen, nicht beziehungslose Monumente

Frei Otto stand zugleich für das Ideal einer humanistischen, umweltverträglichen Bauweise. Er kritisierte elitäres Bauen ohne Beziehung zum Menschen und weigerte sich, uns mit Monumenten zu umkleiden. Es ging ihm immer darum, mit seiner Architektur eine Welt abzubilden, in der wir leben möchten. Beispielhaft stehen dafür seine wandelbaren Membrandächer für Schwimmbäder in Paris. Und wenn heutzutage in den Seildächern von Stadien nur noch ein Minimum an Stahl verwendet wird, ist dies auch auf Frei Ottos Vision des ökologischen Bauens zurückzuführen. Diese ist gerade in Zeiten massiv zunehmender Urbanisierung aktueller denn je – laut den Vereinten Nationen werden in den nächsten 15 Jahren fünf Milliarden Menschen in Städten leben. Allein in China werden jedes Jahr mehr neue Wohnungen gebaut, als es Wohnungen in Deutschland gibt.
Mehrzweckhalle Mannheim

Frei Otto: ein Diplomat der Kultur, geehrt mit dem Pritzker-Preis

Frei Otto war mehr als nur ein Pionier der Architektur. Er war ein Universalbürger, ein Vordenker seiner Zeit und ein Schöpfergeist, der seine Architekturästhetik in die Welt trug und sie nach Deutschland rückspiegelte. Er nahm architektonisch vorweg, was wir heute sind – ein weltoffenes, modernes, global vernetztes Land. Seine Vision der Koproduktion, des Zusammenwirkens von Wissenschaft, Architektur und Kunst ist heute zeitgemäßer denn je: In der globalisierten Welt geht es darum, das gemeinsame Schaffen von Bildung, Wissen und Kultur möglich zu machen, die Trennung von Innen und Außen zu überwinden.

Frei Otto war ein Pionier der Architektur, der die Leichtigkeit nach Deutschland und in die Welt getragen hat. Und er war – ja, auch dies – ein Diplomat der Kultur, der den Blick auf Deutschland ein Stück weit veränderte. Dass ihm am Freitag in Miami posthum der Pritzker-Preis verliehen wurde, erfüllt mich mit großer Freude.

Voliere im Tierpark Hellabronn, München 1980

Nota. - In der Gegenwart ist der Architekt, wenn er seine Aufgabe erfüllt, eigentlich der künstlerischere Künstler als der Maler oder Bildhauer. Während jene ihre ästhetischen Probleme selber aushecken und lösen, wie es ihnen pläsiert – und dieses ist so unerheblich, so belanglos, so gleichgültig und willkürlich wie jenes –, ist den Architekten ein zumindest in diesem Sinn objektives Problem gegeben, als ein Anderer, ein Auftraggeber, es ihnen vorgegeben hat; und es ist nicht nur ästhetisch – dies sogar erst in zweiter Linie -, sondern sachlich: Die Lösung muss nicht nur funktional sein; will sagen: der Architekt muss verstanden haben, um welche Funktion es geht; sondern auch ökonomisch: Funktion und Aufwand müssen in einem vertretbaren Verhältnis zu einander stehen.

Und außerdem soll sich die Lösung ästhetisch sehen lassen. Irgendeine Form wird die Sache sowieso haben, ob er darauf absieht oder nicht. Die Ingenieure der frühen Industriearchitektur haben anscheinend gar nicht darauf abgesehen – und ihre Lösungen verschlagen uns heut die Sprache (vermutlich, weil uns die damalige Funktionalität postindustriell völlig fremd geworden ist). Der heutige Architekt ist das, was der Bildende Künstler gar nicht mehr sein kann, so sehr er auch so tut: ein Erfinder. Doch die faulen Gecken unter ihnen halten sich für Bildende Künstler und kaprizieren sich auf die Repräsentations-Bauten des Reichtums; die müssen nicht funktionieren, sondern Eindruck machen, und was es kostet, spielt schon gar keine Rolle.

Ob Frank Gehry als Architekt etwas taugt, wird sich erst sagen lassen, wenn er eine städtischen Wohnanlage zustande gebracht haben wird; bisher hat er sich glücklich darum gedrückt.
JE.


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