Mittwoch, 1. Juli 2015

Wie universell ist Musik?

aus Tagesspiegel.de, 29.06.2015 17:47 Uhr

Der universelle Beat des Homo sapiens
Jodeln in den Alpen, Didgeridoo im Outback - auf den ersten Blick ist Musik von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich. Doch es gibt Gemeinsamkeiten.

Haka“-Kriegsgesang der neuseeländischen Maori Mondlicht auf dem ChingYang-Fluss , der österreichische „Apfelbauerndudler“, derMakala“-Jagdsong der BaAka-Pygmäen – die Musik jeder menschlichen Kultur ist einzigartig. Doch überall auf der Welt besteht sie aus ähnlichen Bausteinen und erfüllt nahezu identische Aufgaben. Zu diesem Schluss kommt eine Forschergruppe um Patrick Savage von der Universität der Künste in Tokio.

Die Forscher verglichen die Aufnahmen von 304 Songs aus aller Welt. Zwar fanden sie keine Eigenschaften, die in allen Aufnahmen auftraten, aber sie entdeckten gewisse Übereinstimmungen: die Bildung von Takten mit zumeist zwei oder drei Schlägen, das Singen mit Bruststimme, fünfstufige Tonleitern und einheitliche Tonlängen. Auch in sozialen Merkmalen stimme die Musik überein. So werde Musik weltweit zumeist in Gruppen und eher von Männern aufgeführt. Außerdem gebe es einen engen Zusammenhang zwischen der Benutzung von Schlaginstrumenten, dem Musizieren als Gruppe und Tanz – eine Kombination, die an religiöse Rituale ;erinnere.

Über diese kulturunabhängigen Eigenschaften von Musik sei lange spekuliert worden, schreibt Savages Team im Fachblatt „PNAS“. Ihre Studie liefere nun einen statistischen Beleg. „Trotz ihrer oberflächlichen Vielfalt besteht die meiste Musik auf der Welt aus ähnlichen Bausteinen und erfüllt ähnliche Aufgaben, bei denen es vor allem darum geht, dass Menschen zueinanderkommen“, sagt Savage. Musik sei „sozialer Klebstoff“.

Universelles Gehör Auch die Bauweise des menschlichen Gehörs ist für kulturübergreifende Ähnlichkeiten in der Musik verantwortlich. So liegt es wohl an der Dynamik der Hörschnecke, dass Basstöne eher für den Rhythmus und höhere Tonlagen für die Melodie genutzt werden.(dpa)


aus Der Standard, Wien, 30.6.2015


Musik wirkt in allen Kulturen als "sozialer Klebstoff"
Forscher untersuchten Strukturen und Funktionen von Musik über kulturelle und politische Grenzen hinweg

Tokio – Eine der wichtigsten Plattenfirmen der Welt heißt Universal. Der Name ist gut gewählt – nicht nur des globalen Absatzes wegen: Musik ist auch so etwas wie eine Universalie, denn so gut wie jede Kultur des Planeten verfügt über so etwas wie eine musikalische Tradition.

Doch was macht Musik aus, über alle politischen und kulturellen Grenzen hinweg? Sie habe Eigenschaften, die weltweit und in allen Genres auftreten, berichtet nun eine Forschergruppe im Fachjournal "PNAS" der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften. Dazu gehörten Tonhöhen und Rhythmen, aber auch soziale Aspekte. Auf der ganzen Welt diene Musik dem Gruppenzusammenhalt und der Abstimmung innerhalb einer Gruppe.

Ritualisierte Abstimmung

"Unsere Ergebnisse helfen zu verstehen, warum Menschen Musik machen. Wir zeigen, dass die weltweit häufigsten Merkmale von Musik damit zu tun haben, dass Menschen ihre Handlungen aufeinander abstimmen können", erklärt Mitautor Thomas Currie von der Universität Exeter. "Das lässt vermuten, dass Musik hauptsächlich dazu da ist, die Menschen zusammenzubringen und Gesellschaftsgruppen zu einen – wie ein sozialer Klebstoff."
Die Forscher um Patrick Savage von der Universität der Künste in Tokio hatten 304 Musikaufnahmen aus aller Welt nach allgemeingültigen Merkmalen durchsucht. Sie fanden keine Eigenschaften, die in allen Aufnahmen auftraten. Allerdings entdeckten sie zahlreiche statistische Universalien – also Merkmale, die auf allen Erdteilen sehr häufig zu hören sind. Dazu zählen zum Beispiel die Bildung von Takten mit zumeist zwei oder drei Schlägen, das Singen mit Bruststimme, fünfstufige Tonleitern und einheitliche Tonlängen.

Statistische Belege

Auch soziale Merkmale seien unter den übereinstimmenden Merkmalen, heißt es in der Studie. Beispielsweise werde Musik auf der ganzen Welt zumeist in Gruppen und eher von Männern aufgeführt. Sie fanden zudem einen engen Zusammenhang zwischen der Benutzung von Schlaginstrumenten (Percussion), dem Musizieren als Gruppe und Tanz – eine Kombination, die an religiöse Rituale erinnere.
Über diese kulturunabhängigen Eigenschaften von Musik sei lange spekuliert worden, schreiben Savage und seine Kollegen. Mit der vorliegenden Studie lieferten sie nun einen statistisch abgesicherten Beleg dafür. "Wir zeigen, dass trotz ihrer oberflächlichen Vielfalt die meiste Musik auf der Welt aus sehr ähnlichen Bausteinen besteht und sehr ähnliche Aufgaben erfüllt, bei denen es vor allem darum geht, dass Menschen zueinander kommen", so Savage.

Weiterführende Fragen

"Die Studie scheint mir methodisch gut", kommentierte Richard Parncutt vom Zentrum für Systematische Musikwissenschaft der Universität Graz. Spannend wäre seiner Meinung nach die Untersuchung weiterer möglicher Universalien. "Zum Beispiel: Liegen musikalische Tempos überall im gleichen Bereich wie Herzrate und Gehtempo? Und hängen Grundgefühle wie Freude, Angst oder Traurigkeit überall ähnlich von musikalischer Struktur ab?"
Frühere Studien konnten bereits zeigen, dass auch das Hörsystem des Menschen für kulturübergreifende Aspekte von Musik verantwortlich sein kann. So liegt es vermutlich an der akustischen Dynamik in der Hörschnecke des menschlichen Ohrs, dass Basstöne üblicherweise für den Rhythmus genutzt werden, die Melodie hingegen zumeist in den höheren Tonlagen spielt. (APA)

Abstract
PNAS: "Statistical universals reveal the structures and functions of human music"

Nota. - Dass Volksmusik und Tanz der geschichtliche Ursprung und dauernde Nährboden der Kunstmusik sind, wer wollte das leugnen? Aber dass die Forscher die Kunstmusik nicht einmal der Erwähnung wert erachten, zeigt, dass sie über Ethnologie und Soziologie hinaus an Ästhetik gar kein Interesse haben. Doch werden sie dann auch die Volksmusik nicht versehen können. Denn dass sie eine "Wirkung" hat, wird wohl mit ihren ästhetischen Qualitäten zu tun haben und nicht nur neurologisch erklärt werden können.
JE

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