Montag, 28. September 2015

Cy Twombly in Basel.


aus Badische Zeitung,                                                                              Untitled (Gaeta) 1985                                                              
Fragment eines Traums
Cy Twombly: Malerei und Skulptur in Basel.

von Volker Bauermeister 

2010, im Jahr vor seinem Tod, fand Cy Twombly einen Platz im Louvre. In dem Deckengemälde der Salle des Bronzes ist von der bekannten lässig fahrigen Handschrift aber nichts. Kein Farbenüberschwang wie im malerischen Spätwerk. Ein befremdend ausdrucksloses Bild ist das da. Und doch ein Twombly. Der hat sich immer der Erwartung entzogen.
Louvre, Deckengemälde, Saal der griechischen Skulpturen

Eine kleine, klar konturierte Ausstellung des augenblicklich geschlossenen Kunstmuseums Basel in seiner Filiale für Gegenwartskunst zeigt Twombly in seinen früheren Jahren. Die Zeit bis knapp über 1970 hinaus (nur zwei Skulpturen sind später datiert) repräsentiert der dafür noch mit Leihgaben ergänzte museumseigene Werkblock. Mit Twombly exponiert Museumschef Bernhard Mendes Bürgi nach Frank Stella einen weiteren Amerikaner. Nun aber einen, der selbst auch in Basel, wo man die US-amerikanischen Zeitgenossen früher als anderswo in Europa wahrnahm, erst nach einigem Zögern Aufnahme fand. Mendes Bürgi zitiert einen Vorgänger im Amt, Franz Meyer, der sich an die Vorbehalte erinnerte. Bei Twombly missfiel, so Meyer, dass alles "offen, flüchtig" war – und der Mann obendrein so unverblümt lustvoll.
Untitled, 1954

Die schwarztonige, deckende Ölfarbe ist als dunkler Grund eingesetzt, in den die weisstonigen Pinselspuren hineingearbeitet sind und stellenweise in Grautöne übergehen. Diese Interaktion der Farbmaterie bleibt nicht auf der Fläche des Gemäldes stehen, sondern erzeugt einen subtilen Tiefeneffekt: Was scheinbar auf die Oberfläche des Bildes aufgetragen ist, sinkt in die dunkle Tiefe des Grundes ein. Zusammen mit den sehr sparsam aufgetragenen Spuren gelber und roter Farbe, die an gezielt gesetzte Glanzlichter erinnern, zeigt diese Tiefenwirkung Ähnlichkeit mit den Hell-Dunkel-Effekten und Körpermodellierungen der barocken Ölmalerei. (Aus dem Begleittext der Ausstellung)

Ja, Twombly gewöhnte sich alles ab, was gewöhnlich erwartet wird, was die Handschrift betrifft und das Bild als System. Ein Frühwerk von 1954 kehrt auf dunklem Grund abstrakt-expressionistische Gestik quasi ins Negativ. Schon in die anschließenden römischen Jahre gehört dann "Study for Presence of a Myth", das als erstes in die Sammlung kam. Ein junger Amerikaner, der im alten Europa den kulturellen Fond findet! Twombly rebellierte auf eine andere Weise gegen die etablierte Abstraktion als die Landsleute und Freunde, die zu Stichwortgebern der Pop Art wurden. Auf Kulturgeschichte zu rekurrieren, war nicht weniger gewagt als plötzlich den Alltag zu zitieren. Twombly gelingt beides: unmittelbar jetzig zu sein und verblüffend poetisch historisch.


Arcadia, Rom 1958

Das Wechselspiel von Zeichnung und Schrift erzeugt eine Unbestimmtheit, die sich für das Medium der Malerei als äusserst fruchtbar erweist. Prozesse des Sehens und des Lesens durchdringen sich spannungsvoll, beginnen miteinander zu interagieren. Die Malerei wird nicht in den Bereich der Sprache und Semiotik überführt, sondern das Register malerischer Möglichkeiten wird bereichert, womit sich ihr neue Möglichkeiten eröffnen. (Ausstellungstext)


"Study for Presence of a Myth" ist in einen weiß getünchten Grund eher gezeichnet als gemalt. Die "Studie" wirkt wie eine Notizblockseite im Gemäldemaßstab. Zahlenreihen, Graphismen, vehemente Streichungen, die bilden ein zerrissenes Gewölk. Der Titel skizziert noch den Horizont. "Präsenz eines Mythos". Ein Muster der Welterklärung wäre noch einmal gefragt? Ausgemalt ist – wie an der späten Pariser Decke mit den ins linkische Himmelblau geschriebenen Namen der griechisch-antiken Bildhauer – dann aber gar nichts. Ein nervöses Fragment von etwas. Das ist es: Bruchstück eines sehnsüchtigen Traums.
Untitled, Rom 1961

Es wäre verfehlt, die sinnliche Intensität dieses Bildes auf eine ursprüngliche und quasi präkulturelle Gebärde der Malerhand zu reduzieren, denn einmal mehr öffnen die figurativen, symbolischen und schriftlichen Elemente das Bild und bringen es in Verbindung mit einer kulturellen Ordnung jenseits des spontanen Malakts. So findet die exzessive Farbigkeit und Gestik eine Resonanz in den zahlreichen Herzen, in denen die ungezähmte Leiblichkeit auf symbolische Weise gebändigt und dargestellt wird. (Ausstellungstext)

Zur Malerei findet Twombly wieder zurück. Nicht aber zur volltönenden Formkunst. Was sich zeigt (im unbetitelten Großformat der Daros Collection aus dem Jahr 1961) ist rhapsodisch, ruppig, eruptiv. In freier Liebe lässt Twombly die Farbe blühen, sich in Fleischtönen entblößen. Hingekritzelte Zeichen bringen Liebesorgane ins Spiel. In einer Unzahl glücklich sinnlicher Momente wirkt dies Triebgemälde wie ein Fest ohne Grenzen. Bacchanal. Olymp und durchlebte Niederung in einem.
Untitled, 1969 (Steib-Schenkung)

Ein ganz und gar konträres, strikt minimalistisches Stück gibt der Ausstellung den Anlass. Zum ersten Mal zu sehen ist das Geschenk des Basler Architektenehepaars Steib an das Kunstmuseum. Ein flächendeckendes Cremeweiß, darin ein rasch gezeichnetes Rechteck. Von einer "feinen fensterartigen Öffnung" spricht Mendes Bürgi. Allerdings versperrt Schraffur den Ausblick, und es ist die milchig helle Fläche drumherum, die ins Weite weist. Untergründig lässt sie auch Gewesenes durchscheinen. Das in dem "fensterartigen" Geviert pointierte Hier und Jetzt schließt so Erinnerung ein. Von der Geschichtlichkeit des Bildes wäre zu reden.
Nini's painting 1971 Rom

Die dynamisch gezogenen Linien und die All-over-Technik, mit der das gesamte Bildfeld gleichmässig und flächendeckend bearbeitet ist, erinnern an die Drip-Paintings von Jackson Pollock. Die Dynamik von «Nini's Painting» zeugt dabei weniger von einer kraftvollen Geste als vielmehr von einer leichten und zarten Linienführung, die dem Bild eine harmonische Rhythmik verleiht. So wirkt die eigentümliche Verdichtung von geschichteten Linien und Farbe keineswegs beengend, sondern im Gegenteil offen und leicht. (Ausstellungstext)


Und lichte Schichtenmalerei des römischen Twombly ist auch "Nini's Painting". Darin verflicht sich die Handschrift zur Textur und verwandelt die Fläche zum fluktuierenden Raum. Twombly sehen wir der Freundin Nini Pirandello nach deren Freitod frei aus dem Handgelenk ein Grabdenkmal zeichnen oder schreiben. Eine der fünf Fassungen ist in Basel. In der souveränen Flüchtigkeit klingt Vergänglichkeit an; der Schreibfluss fasst das dauernde Vergehen in eine klaglose Klage. So sieht Entgrenzung aus, wenn sie zum Bild wird.

Museum für Gegenwartskunst, Basel. Bis 13. März 2016, Di bis So 10-18 Uhr.

Und hier noch der Ausstellungstext zu meinem Kopfbild:

Das sichtbar aufgetragene und dabei nicht vollständig deckende Weiss verbindet die unterschiedlichen Teile zu einem ästhetischen Zusammenhang, indem es deren materielle Heterogenität der Oberfläche schafft; andererseits wird durch den sichtbaren Farbauftrag und die farbfreien Leerstellen die Farbe als Verbindung der Teile selbst akzentuiert.


Nota. - Das kann meine vierjährige Tochter auch, hat ein namhafter Zeitungsmann wohl gesagt, und das machte die Runde. Es hängt Twombly - außer bei den Aficionados - bis heute an. Bei vielen, ach, den meisten Stücken muss man sagen: zu Recht. 
Ionisches Meer, 1987. (Das könnte die vierjährige Tochter vielleicht doch nicht, oder höchstens zufällig, aber nicht mit Absicht. Und dann ist ein keine Kunst.)

Aber wenn daraus geschlossen wird, dann könne es keine Kunst sein, denn die kommt von Können, so wird es falsch. Wenn ihm das gefiel, wenn er es gerne malte, wenn Andre darauf etwas zu sehen meinen, was sie vorher nicht kannten - welchen handwerklichen Kanon verlangt man dann noch, und wieso? Wenn er wiedergeboren würde, würde er alles nochmal genauso malen, aber keinem Menschen zeigen und für sich behalten, hat er gesagt. Warum soll man ihm das nicht glauben? 

Vielleicht war er wohlhabend und auf den Verkaufspreis nicht angewiesen. Dann verstünde ich auch, warum ich das Gefühl nicht loswerde: Der Mann hat das alles zum Hohn auf den Kunstmarkt gemacht. Warum soll ich über meine Bilder reden? hat er gesagt. Ich habe sie doch gemalt. Das reicht. Wenn ich dann lese, welcher Tiefsinn den Ausstellern eingefallen ist, denke ich: Das ist ein Gesamtkunstwerk unter dem Titel Die Selbstreflexivität der Gegenwartskunst und ihres Geschäftsbetriebs.
Untitled 1985

Ich will aber nachtragen: Das ist ein bisschen ernst gemeint. Es ist nämlich nicht wahr, dass er nichts konnte. Ich habe einiges aus den 80er Jahren gesehen - sieh oben -, das man sich gut eine Weile lang anschauen kann. Vielleicht zeige ich das hier mal, aber vorher will ich mir doch erst noch ein wenig mehr ansehn.
JE



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