Donnerstag, 8. Oktober 2015

Diskurs, Anschauung und Ironie.


Henri Rousseau, Île de la Cité

Ein Diskurs – discorso –  spielt sich auf ein und derselben semantischen Ebne ab: x ist, Modus ponens. In einer Rede, wo sich die erste und die zweite semantische Ebene regelmäßig abwechseln – x ist; dass x ist –, ist das der Diskurs. Der Logiker mag sagen: Das lässt sich ins Unendliche steigern. Der Semantiker wird sagen: Ab einem bestimmten, nämlich je zu bestimmenden Punkt wird es unüberschaubar, und hört daher auf, ein Diskurs zu sein; findige Köpfe mögen mehrere Diskurse herauslesen, die einander durchkreuzen, aber das ist dann kein Diskurs mehr, sondern ein Bild, das der Interpretation harrt und, anders als der Diskurs, nicht eindeutig ist. Weil und sofern der Diskurs eindeutig ist, lässt er sich begreifen, und dazu ist er da.

Die Kunst argumentiert nicht mit Begriffen, sondern bringt Bilder zur Anschauung. Doch ist Anschauung selber schon eine (allererste) Reflexion: 'Ich sehe' ist schlechterdings nicht trennbar von 'Ich sehe dieses'. Frei steht mir aber die Reflexion: 'Was ist dieses?' Frei in dem Sinn, dass ich ohne weiteres darauf verzichten kann.

Die diskursive Rede dient eo ipso – anders käme sie nicht vor – der Mitteilung. Die Anschauung eines Kunstwerks dient zu-nächst einmal nicht der Mitteilung. Geschähe sie von vorherein um der Mitteilung willen, wäre sie nicht Anschauung. (Das ist der ursprüngliche ästhetische Sündenfall der Kunstkritik: Sie ist in ihrem Wesen absichtlich.) Dem ästhetischen Betrachter steht aber frei, ob er das Kunststück nicht auch auf einer zweiten semantischen Ebene anschauen will; nämlich ironisch.

Einen Künstler und einen Betrachter, der diese Dimension nicht von vornherein im Auge hat, nennen wir naiv, aber das muss den einen so wenig berühren wie den andern.

Der Zöllner Rousseau war übrigens nicht naiv, er tat nur so. Das wiederum war ironisch, doch ironischerweise hat er es selber nicht ganz so aufgefasst.





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