Sonntag, 1. November 2015

Kurze Geschichte des Schönen.

aus Über das ÄsthetischeZwischenbericht.
aus Anatolien, 3000-2500 v. Chr.

In der vor- und frühgeschichtlichen 'Kunst' scheint eben die Darstellung des Rätselhaften im Vordergrund zu stehen; wie in aller animistischen und noch der magischen Kultur. Die spezifisch religiöse Kunst stellt dagegen das Rätselhafte (das Numi-nose) so dar, als ob es gelöst und in die eindeutig bestimmte Welt integriert, entschärft und befriedet wäre: Schönheit ist die Anverwandlung des Befremdlichen an das Vertraute – 'gefaßt', gebannt in Harmonie, Güte, Vorhersehbarkeit. Durch Schönheit wird das Fremde unanstößig und positiv. Sie ist Ausweis universeller Gültigkeit; einer höheren Gültigkeit gar als das Vertraute (=Gewöhnliche) selbst! Das Schöne symbolisiert die immanente Sinnhaftigkeit der Welt. (Solange das Schöne Paradigma der Kunst bleibt, weichen 'die Geschmäcker' im Detail von einander ab, insgesamt sind sie kulturell gebunden: Herrschaft des 'Stils'.)*

Courbet, Felsen bei Trouville

Mit der Renaissance emanzipiert sich das Schöne von seiner religiösen Prämisse und wird selber "bedeutend": als Maßstab der Welt! Kunst in einer distinkten Bedeutung, als eine autonome Praxis des Schönen ohne kultische oder haushälterische Zwecke, 'gibt es' überhaupt erst seither. In der Romantik emanzipiert sich das Ästhetische von der Vorherrschaft des "Schönen". Und das Rätselhafte drängt sich wieder vor das Schöne, aber diesmal als es selbst. Mit der Romantik wird das Bemühen aufgegeben, die Rätselhaftigkeit der Welt in einem immanenten Sinn 'aufzulösen'. [Sic! Denn gerade je gewaltsamer, künstlicher dieser Versuch öffentlich vorgetragen wird, z. B. Friedrich, umso polemischer richtet er sich gegen das Wirkliche.] In der bürger-lichen Gesellschaft wird der Zwiespalt der Welt (die Sinn-Losigkeit des Gegebenen) selber zum vertraut-Selbstverständlichen und verzichtet auf jede gefällige Entschärfung. Die Voraussetzung: Bildung! 

Blechen, Wolkenstudie
  
(Es gibt aber weiterhin eine Kunst, die auf solche Entschärfung nicht verzichten mag – für Leute, die mangels Bildung den Zwiespalt nicht aushalten; diese Kunst heißt jetzt Kitsch. Seitdem darf im übrigen jeder 'seinen eigenen Geschmack' haben. Einen gültigen Stil gibt es nicht mehr, nur noch Moden, die aber von Anbeginn umstritten sind; z. B. wg. Kitsch!)


Trotzdem bleibt das Schöne Paradigma auch des Rätselhaften. Denn im Schönen (nun aber im Naturschönen sowohl als im Kunstschönen – das Naturschöne sieht aus, als ob die Natur "sich was dabei gedacht hätte") erscheint das bloß-sinnlich-Gegebene so, als ob es selber etwas bedeuten wolle. Und zwar jenem 'zwiespältigen' Bewußtsein, das längst weiß, daß die Dinge 'an sich' eben überhaupt nichts bedeuten und ohne pragmatische Zwecksetzung sinnlos bleiben. Rätselhaft ist die Darstellung (als Darstellung) dann, wenn sie ihr Objekt, egal ob gegenständlich oder ungegenständlich, beinahe in 'Schön-heit' faßt, und sie dann doch verfehlt; die harmonistische, befriedete, positive Symbolhaftigkeit des Schönen parodiert. Diese vorgeführte Immanenz heißt Ironie und ist seit der Romantik der Generalnenner der Kunst.


*) Das gilt wohl nur fürs Abendland. Nov. 2015 



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