Montag, 4. Juli 2016

Spaniens Goldenes Zeitalter in der Berliner Gemäldegalerie.

Gregorio Fernández, Gang zum Kalvarienberg, nach 1610.

Das Goldene Zeitalter war gar nicht golden. Nicht das spanische „Siglo de Oro“, das so genannt wurde, kaum dass es vorüber war. Die Nostalgie tat, was sie gerne tut, sie log. Denn die Pest war damals umgegangen, fünfmal zwischen 1607 und 1662 war der Staat bankrott, wiederholt herrschte Erntenotstand, die zwangskonvertierten Muslime wurden vertrieben, von den Kriegen war der Dreißigjährige nur einer, zuletzt saß als König Karl II. ein durch fortgesetzte Verwandtenehe lädiertes Kind auf dem Thron. Das Schloss der Monarchen – eine riesige düstere Klosterkaserne. Die Ritter des Goldenen Zeitalters – verarmt und von trauriger Gestalt. Die einfachen Leute – viel zu beten und wenig zu essen. In den Kneipenszenen der Maler erscheinen sie mürrisch und – ganz anders als die selbstzufriedenen Rüpel in den zeitgenössischen Genrebildern Hollands – apathisch, niedergeschlagen. Der Adel – zumeist blasiert, in Oberschichten-apathie. Manche nannten es Stolz.

Es ist nichts Heiteres in dieser Kunst. Auf weit mehr als einhundert Bildern, die jetzt in Berlin zu sehen sind, von Valencia über Madrid bis nach Sevilla, von 1580 bis nach 1680, zeigt sich mehr als einhundert Jahre lang kein einziger unbeschwerter Augenblick.

Esteban Murillo. Mariä Himmelfahrt ca. 1665

So beginnt Jürgen Kaube in der FAZ seinen Bericht über die große Ausstellung, die zur Zeit in der Berliner Gemälde-galerie zu sehen ist. Land ohne Lächeln hat er ihn überschrieben. 

Doch die FAZ erlaubt mir nicht, dass ich ihre Texte wiedergebe, höchstens ein paar Auszüge. Darum folgt nun:


aus Tagesspiegel.de, 30. 6. 2016

Aus Spaniens Goldenem Zeitalter
El Greco, Velazquez, Zurbarán: „El Siglo de Oro“, die grandiose Sommerausstellung der Berliner Gemäldegalerie, feiert Spaniens Blüte im 17. Jahrhundert - und die europäische Zusammenarbeit.

von Nicola Kuhn

El Grecos Immaculata Oballe aus dem Jahr 1613 zeigt Mariä Empfängnis.

Ganz großes Kino. Blitze durchzucken die Nacht, beleuchten dramatisch die Dunkelheit. Engel mit schweren, schwarzen Flügeln schweben herbei und umtanzen mit ihren Instrumenten die künftige Muttergottes, die gerade dem Heiligen Geist in Gestalt einer Taube entgegenfährt. Die Unbefleckte Empfängnis mal nicht als Tête-à-Tête zwischen Maria und einem Engel im stillen Kämmerlein, sondern in vertikalem Cinemascope mit gloriosen Farben, knalligem Blau, grellem Rot und kräftigem Gelb.

El Greco reißt in seinem 3,48 mal 1,74 Meter großen Monumentalbild „Immaculata Oballe“, das eher dem Typus Mariä Himmelfahrt gleicht, den Betrachter gleich mit in die Höhe und bedient sich dabei eines Tricks. Die Füße des unteren Engels befinden sich noch vor dem Blumenstillleben am unteren Bildrand, der die Sphäre des Betrachters markiert. Willkommen in der Welt der Glaubenseiferer und exaltierten Katholiken, willkommen bei den Heiligen und Königen, willkommen im Goldenen Zeitalter Spaniens.


anonym, Bücherstillleben, 2. Viertel d. 17. Jahrhunderts

Die Berliner Gemäldegalerie hat mit der Sommerausstellung „El Siglo de Oro“ ihren großen Auftritt. Nach der Botticelli-Schau wird erneut die riesige Wandelhalle bespielt, durch geschickt eingezogene Stellwände für einem grandiosen Parcours präpariert. Damit auch die Außenwelt von diesem Kraftakt der Staatlichen Museen erfährt, steht auf dem Dach des Kulturforums ein riesiger goldener Reifen, das Ausstellungssignet. Was hilft’s. Er müsste noch größer sein, denn auf dem Vorplatz fragen zwei herumirrende Touristinnen, wo denn die „pinacoteca“ sei. Einfach nur geradeaus. Der Gemäldegalerie möchte man einen Erfolg wünschen wie vor fünf Jahren ihre meistbesuchte Ausstellung „Gesichter der Renaissance“, die allerdings auf der Museumsinsel in Mitte zu sehen war.


Juan Antonio de Frias y Escalante, Der Engel erweckt den Propheten Elias in der Wüste, zwischen 1650 und 1660.

„El Siglo de Oro“ nimmt es allemal mit ihr auf. Erneut werden Bilder und Skulpturen aufgefahren, dass einem Sehen und Hören vergeht. In der gemeinsam mit dem Prado erarbeiteten Schau kommen spektakuläre Leihgaben aus allen großen Häusern Europas zusammen, die staunen machen: 135 Werke aus über sechzig öffentlichen und privaten Sammlungen. Der Louvre in Paris, das Rijksmuseum Amsterdam, das Wiener Kunsthistorische Museum, das Statens Museum in Kopenhagen beteiligen sich und liefern damit eine Demonstration europäischer Zusammenarbeit, deren bittere Notwendigkeit in diesen Tagen wieder deutlich wird. Denn zu den Bilderreisen gehören Zollerklärungen, Frachtbestimmungen, freies Geleit für Expediteure, die das Reglement der EU erleichtert. Auch britische Sammlungen gaben großzügig Werke; welche Folgen hier der Brexit hat, wird man sehen, auch für die Forschung, die Kuratoren. Ohne einander geht es eigentlich nicht. „El Siglo de Oro“ führt zwar den spanischen Barock vor, gesammelt aber wird international.


Francisco de Zurbarán Der heilige Franziskus, um 1640.

Umso mehr erstaunt, dass Spaniens Goldenes Zeitalter außerhalb des Landes bislang keine Würdigung fand. Zum ersten Mal seit fünfzig Jahren zeigt das Berliner Kupferstichkabinett in einem Saal wieder seine hervorragenden Bestände an Zeichnungen jener Zeit. Gewiss, den großen Meistern El Greco, Murillo, Velázquez, Zurbarán wurden Einzelausstellungen gewidmet, zusammen waren sie jedoch nie zu sehen, schon gar nicht mit weniger bekannten Künstlern des Landes.

„El Siglo de Oro“ leistet Nachholarbeit und erinnert gleich im Entree daran, dass Spanien einst eine Weltmacht war, die sich auf fünf Kontinenten ausgebreitet hatte. Das erklärt die Sammellust, die Bildergier ihrer Könige, die Bestätigung nicht nur als militärische Herrscher und wirtschaftliche Potentaten suchten, sondern auch durch Kunst Selbstdarstellung betrieben. Philipp IV. soll seinen Palast mit mehr Gemälden gefüllt haben, als ganz Paris damals besaß, wie Zeitzeugen damals berichteten.


Alonso Cano, Inmaculada

Gläserne Tränen fließen das Antlitz der Heiligen hinab

Der gleichen Mittel, der Malerei und Skulptur, bediente sich auch die Kirche, um gegenreformatorische Propaganda zu betreiben: Da fließen gläserne Tränen das Antlitz der Heiligen herab, strömt das Blut plastisch aus den Wunden des Gekreuzigten, der zum Greifen nah aufgebahrt liegt, besitzen die biblischen Darsteller höchst realistische Züge, als wären sie Menschen von nebenan. Hingebungsvoll umarmt etwa bei Francisco Ribalta der Heilige Franziskus den Gekreuzigten, als trennte sie nicht Zeit und Raum. „El Siglo de Oro“ liefert ein Wechselbad der Gefühle, mal wird höfische Grandezza, mal Seelenpein gespielt. Die Ausstellung überzeugt jedoch nicht durch Emotionalität, sondern durch ihre kluge Inszenierung, die von dem Besucher, der zwischen den verschiedenen Städten, Schulen, Künstlerclans hin- und herspringen muss, einiges abverlangt.


Velázquez, Francisco Pacheco, um 1620.

Den Zeitgenossen selbst stellte sich „El Siglo de Oro“ gar nicht so gülden dar, vielmehr empfanden sie es als „eisern“, wie Miguel de Cervantes im „Don Quijote“ seinen Ritter von der traurigen Gestalt sagen lässt. Das 17. Jahrhundert war für Spanien eine Epoche der Verwerfungen, das Weltreich bröckelte, die Künste allerdings blühten. Mit dem importierten Edelmetall aus Übersee ließ sich noch zahlen, das höfische Zeremoniell verlangte weiterhin nach Formen der Repräsentation. So war es eine konsequente Folge, dass die anfänglich aufstrebenden Städte Córdoba, Granada, Valencia gegenüber dem immer stärker zentralistischen Madrid an Bedeutung verloren. Die Schau versucht die Entwicklung der verschiedenen Orte aufzuzeigen, den Barock in Kastilien, Andalusien, Valencia miteinander zu vergleichen, was sich nicht immer für den Betrachter erschließt.


Jürgen Kaube schließt seinen Bericht in der FAZ so:

...Womit neben Glaube und Hof der dritte große Katalysator dieser Bilder hervortritt: das Theater. Dass die Welt eine Bühne ist, wird hier nicht so aufgefasst, dass sich alles in Maske, Rolle, Spiel und Verwechslung auflöst und am Ende alle in der Kantine zusammensitzen. Sondern gerade umgekehrt: dass alle einen Text aufsagen, der nicht von ihnen stammt, in einem Stück leben, dem sie nicht gewachsen sind und das über ihren Tod hinausreicht.
Pedro Roldán Mater Dolorosa, um 1670-75.

Wenn die Skulptur blutet, ist das also nicht nur die Abbildung eines Aberglaubens, sondern Ausdruck einer solchen Metaphysik. Mit einer großen Anstrengung europäischer Dimension hat die Berliner Gemäldegalerie insofern die Gelegenheit geschaffen, Bilder zu sehen, an die man sich nie wird gewöhnen können. Doch dazu waren diese Kunstwerke, dazu ist Kunst überhaupt ja auch nicht da. „Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht?“, heißt es in einer der berühmtesten Theaterreden, die um 1598 erstmals gehalten wurde. Ohne Fragezeichen wäre das eine Feststellung über die Bühne. Schauspieler bluten nicht, wenn man sie sticht. Die hier, auf den Bildern des spanischen Barocks, sind metaphysische Schauspieler und bluten doch. Ihre Körper, scheint die körperlichste und zugleich unbewegteste alle Künste zu sagen, sind nur scheinbar aus Stoff, tatsächlich aber bestehen alle diese Menschen aus Leid.


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