Mittwoch, 19. April 2017

Das Zeitalter der Reproduzierbarkeit begann früher, als ihr denkt.

Plautilla Nelli, Mariä Verkündigung

In der FAZ vom Ostermontag berichtet über die Ausstellung, die zur Zeit die Florentiner Uffizien über die italienische Renaissancemalerin Plautilla Nelli veranstalten.

"Plautilla, Tochter eines Kaufmanns, trat 1538 mit vierzehn Jahren ins Kloster der heiligen Katharina von Siena ein. Bei ihrem Tod 1588 leitete sie eine Malerwerkstatt, deren Produkte in den Patrizierhäusern von Florenz so beliebt waren, dass es, wie Giorgio Vasari in seinen Viten schreibt, 'langwierig' ('troppo lungo') gewesen wäre, sie alle aufzuzählen." 

Plautilla Nelli, Hl. Katarina mit Wunden

Davon ist das meiste verloren, nur drei größere Tafeln konnten ihr bislang überzeugend zugeschrieben werden. Die Uffizien riskieren es, zusätzlich zehn Gemälde und sieben Zeichnungen als ihre Werke vorzustellen.
 
"Die Hälfte der Gemälde zeigt dasselbe Motiv: eine Frau mit Heiligenschein in der Tracht der Dominikanerinnen, die unter Tränen eine Skulptur des Gekreuzigten auf einem Stab betrachtet, aus dem weiße Lilien sprießen. Ihre Hände tragen Wundmale; auch unter dem aufgerissenen Gewand ist auf vier von fünf Bildern eine blutende Wunde zu erkennen. Ein sechstes, kleineres Porträt, das die Heilige bei der Lektüre eines Gebetbuchs zeigt, wirkt wie eine spätere und ziemlich beliebige Kopie.


Plautilla Nelli. Lesende Katarina

Und schließlich zeigte sich, dass alle fünf Katharinen-Porträts von der gleichen Schablone stammten, die nach dem Marienkopf auf Fra Bartolommeos Beweinung Christi in der Galleria Palatina im Palazzo Pitti gefertigt worden war."

Fra Bartolmeo, Beweinung Christi
Schablone sei das Schlüsselwort. Unter der Herrschaft des Bußpredigers Savonarolas und später sanktioniert vom Reformkonzil in Trient, war den Ordensschwestern die Annahme von Pfründen un Stiftungen untersagt, und sie mussten selbst fpr ihren Unterhalt sorgen. Zum Beispiel durch das Reproduzieren von Gebrauchskunst.

"Die Katharinen-Bilder, ob von der Hand Plautillas oder ihrer Gehilfinnen gemalt, sind Serienstücke einer Manufaktur. Plautilla Nelli wusste, was sie dem Markt schuldig war. Wer im Kloster Gemälde kaufte, erwartete keine neuen Bildfindungen, sondern Konfektion. In diesem Rahmen hat Plautilla Nelli Bemerkenswertes geleistet, zumal mit ihrer Beweinung, die im Museo di San Marco im Gebäude des ehemaligen Dominikanerklosters hängt",
Plautilla Nelli Beweinung Christi

"Ihr originellstes Werk, das riesige Letzte Abendmahl aus dem Kloster von Santa Maria Novella, hängt derzeit bei einer Restauratorin. Es hätte eine eigene Ausstellung verdient, nicht etwa, weil es den Abendmahlen Leonardos und Ghirlandaios ebenbürtig wäre, sondern weil es in seiner Mischung aus Pomp und Demut, aus kargen Speisen und Luxusgeschirr so viel über die frühbürgerliche Kultur des sechzehnten Jahrhunderts erzählt."

Als das Kloster den Nachlass von Fra Bartolomeo erbte, schlachtete Plautilla all seine Skizzen und Entwürfe aus. "Ihre eigenen Zeichnungen in den Uffizien bezeugen die Inbrunst, mit der sie sich den Strich ihres Vorbilds aneignete. Ein besonderer Blick, ein eigenständiges Interesse sind darin nicht zu entdecken. Hinter die Oberfläche ihrer Figuren konnte die Autodidaktin Plautilla Nelli nicht schauen. Ihre Ekstase ist ein Effekt, ihre Tränen sind Theater."

Plautilla Nelli, Das letzte Abendmahl

Des Autors Sarkasmus verdankt sich dem lächerlihen Ehrgeiz der Uffizien, in der Geschichte der Malerei "die Frauen" unverdienter Vergessenheit zu entreißen. (Ist übrigens Juliane Voss nicht mehr bei der FAZ?) Dieses hier ist ein Schuss in den Ofen. 

Aber sie haben das Verdienst, ein bemerkenswertes Detail westlicher Kulturgeschichte zu Tage zu fördern: Die Repro- duzierbarkeit des Kunstwerks begann viel früher, als gedacht; wenn auch noch nicht technisch, so doch schon fabrikmäßig-manufakturell.  

Plautilla Nelli. Art and Devotion in Savonarola’s Footsteps. Florenz, Uffizien, bis zum 4. Juni. Der italienisch-englische Katalog kostet 24 Euro.



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