Samstag, 9. Dezember 2017

Ist Gefühl der Stoff des Ästhetischen?


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 Schön traurig


Dr. Anna Husemann
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit 
Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik

04.12.2017 15:48   

Negative Gefühle genießen – eine neue Studie zeigt, warum uns das in Film und Kunst gelingt.

Warum schauen wir uns traurige Filme an? Was reizt uns an einem Kunstwerk, Theaterstück oder Musikstück, das uns Angst macht, uns zum Weinen bringt oder andere negative Emotionen in uns hervorruft? Forscher des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik haben ein umfassendes psychologisches Erklärungsmodell für dieses scheinbar paradoxe Phänomen entwickelt.


Frankfurt – Die neuere Emotionspsychologie hat gezeigt, dass negative Gefühle besonders stark unsere Aufmerksamheit binden, besonders intensiv erlebt werden und besonders stark in Erinnerung bleiben. Max-Planck-Forscher um Winfried Menninghaus, den Direktor der Abteilung Sprache und Literatur am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, haben diese Erkenntnisse auf eine Idee gebracht: Da die Künste ebenfalls Aufmerksamkeit binden, intensives Erleben ermöglichen und erinnert werden wollen, sind beide – die Künste und negative Gefühle – dann nicht füreinander prädestiniert?

Das in der renommierten Fachzeitschrift „Behavioral and Brain Sciences“ veröffentlichte psychologische Modell bejaht diese Frage. Es erklärt, warum Kunstwerke, die negative Emotionen hervorrufen, oft als intensiver, interessanter, emotional bewegender und weniger langweilig, ja sogar als schöner wahrgenommen werden können als ein reines Bad in positiven Gefühlen.

Das Modell enthält zwei Faktoren. Der erste Faktor war bereits gut untersucht: Wir ordnen die Wahrnehmung von Kunstwerken in eine andere Kategorie von Erlebnissen ein als die der alltäglichen Realität. Diese kognitive Distanzierung schafft eine Art Sicherheitsraum, in dem wir negative Emotionen erleben können.

Der zweite Faktor, das eigentliche Herzstück des neuen Modells, enthält auf dieser Grundlage mehrere Mechanismen, kraft deren negative Emotionen sogar positiv zur Kraftquelle intensiven Kunsterlebens werden können. Der erste wird aus der großen Bedeutung von Variation und Dynamik für ästhetisches Erleben abgeleitet: Künstlerische Kompositionen, die uns in Wechselspiele positiver und negativer Gefühle verwickeln, werden als abwechslungsreicher, spannender und interessanter wahrgenommen. Zudem haben gemischte Gefühle, die positive und negative Anteile enthalten, eine große Bedeutung für die Integration negativer Gefühle in die positive Betrachtungslust. So empfinden wir etwa tiefes emotionales Bewegtsein auch dann als positiv und lustvoll, wenn es traurige Gefühle enthält. Ebenso sind positiv erregende Gefühle von narrativer Spannung nicht ohne Gefühle von „Unsicherheit“, Sorge und Angst um Protagonisten zu haben.

Dazu kommt, dass auch die ästhetische Kraft der Darstellung selbst (z.B. die Schönheit der Musik, der Worte, der Sprache, Farben etc.) negative Emotionen sowohl intensiver als auch positiver erlebbar macht. Und schließlich kann die Suche nach einer Bedeutung ebenfalls in negativen Gefühlen etwas Positives entdecken.

Das scheinbare Paradox, warum negative Emotionen zur Lust an Kunstwerken gehören, wird also erklärt, indem neue Erkenntnisse der Emotionspsychologie mit grundlegenden Prinzipien ästhetischer Wahrnehmung zusammen gedacht werden. Die Ergebnisse zeigen nicht nur, warum bestimmte Kunstgattungen wie Tragödien, Horrorfilme oder Melodramen gefallen. Sie identifizieren vielmehr grundlegende psychologische Mechanismen, die der Wahrnehmung von Kunstwerken oder Medienprodukten überhaupt zugrundeliegen.

Originalpublikation:

Menninghaus, W., Wagner, V., Hanich, J., Wassiliwizky, E., Jacobsen, T., & Koelsch, S. (2017). The Distancing–Embracing model of the enjoyment of negativ


Nota. - Der erste systematische Fehler an dieser Untersuchung: Es wird ohne Begründung das Feld des Ästhe- tischen auf künstlerische Artefakte eingeschränkt. Das schiebt von vornherein die Bedeutungen in den Vorder- grund; denn was von Menschenhand gemacht ist, wurde zweifellos in einer Absicht gemacht, und vor aller Reflexion stellt sich die Frage ein: Was wollte er uns sagen?

Das ist auch bei Kunstwerken gewiss nicht das einzige, wonach eine ästhetische Betrachtung suchen könnte. Nichtmal die wichtigste, sagen manche, aber eben darüber lässt sich streiten; doch bei Kunstwerken immerhin eine berechtigte. Beim sogenannten Naturschönen wäre es aber ein dumme Frage, und darum ersetzt sie der naive Betrachter ganz unbefangen mit dem Erraten von "Gefühlen" - und die schiebt er dann rückwirkend in das Kunstschöne ein; und staunt, wenn der Trick auch mit dem Kunstscheußlichen funktioniert.

So auch hier. Das spezifisch Ästhetische am ästhetischen Erleben wird nicht erst in der Antwort, sondern schon in der Frage verfehlt. Das ist so plump, dass die Frage auftaucht, ob nicht das Institut selbst verfehlt ist.

PS.  Bloß weil etwas, das in der Vorstellung vorkommt, in keinen Begriff passt, ist es noch lange kein Gefühl. Es könnte auch einfach eine Anschauung sein.
JE 

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