Samstag, 9. November 2013

Engländer - Die Landschaftsmalerei findet eine Heimstatt.

John Constable, Extensive Landscape with Grey Clouds, 1820er Jahre                             aus Landschaft, oder Die Entbindung des Ästhetischen

Ein Nachempfindsamer: Gainsborough 

Der englische Rokkokomeister Thomas Gainsborough (1727-1788) hat sich vor allem durch seine Porträts – damals das vornehmste malerische Genre – hervorgetan. Als deren Hintergrund wählte er aber gern, im Geschmack der soeben modischen Empfindsamkeit, statt eines hochherrschaftlichen Interieurs eine bescheidene Landschaft.

Und auch ein paar ’reine’ Landschaften sind von ihm erhalten.



Doch seine ‚englische’ Waldlandschaft wirkt auffallend italienisch;
 
   gainsborough--landscape-with-figures-on-a-path-c-1746-48  

und auch dieser Sandweg in der Heide sieht nicht so aus, als habe er ihn nach der Natur gefertigt, sondern nach einer holländischen Vorlage… 

Ein romantischer Expressionist: Constable
 

Der Pionier der modernen Landschaftsmalerei – und damit, wie sich finden wird, der modernen Malerei überhaupt – war John Constable (1776-1837). Etwas anderes als Landschaften malte er nicht – vor ihm nur die Holländer des Goldenen Zeitalters. Zwar hatte er zu Lebzeiten nie wirklich Erfolg, aber als man ihn schließlich doch zum Ehrenmitglied der Royal Academy machte, hatte er immerhin die Landschaftsmalerei in England als eine selbstständige Kunstgattung durchgesetzt – während auf dem Kontinent noch Rokoko-Idyllen und klassizistische Historienschinken vorherrschten. Obwohl auch er Claude Lorrain studiert hat, ist ein italienischer Einfluss bei ihm nicht wahrzunehmen, und er war auch nie in Italien – nicht einmal am Rhein. Seine Landschaften sind nicht heroisch, sondern ausdrucksstark; und sie sind real: Am liebsten malt er seine unmittelbare Heimat, die Grafschaft Suffolk.

  Flussufer  

Er schließt sich ungebrochen an die holländischen Tradition an, italienischer Geschmack, italienische Versatzstücke sind nirgends zu erkennen. 
 
   John Constable, Epsom  

Das ist hier keine Constable-Werkschau. Ich suche ein paar Stücke heraus, an denen besonders sichtbar wird, was Constable zu meinem Thema beigetragen hat – nämlich zur Entbindung des rein-Ästhetischen aus seinen sachlich-thematischen Zusammenhängen, indem er die spezifischen künstlerischen Möglichkeiten der Landschaftsmalerei ein kleines Stück weiter ent-deckt hat. Ich behandle zum Beispiel nicht, daß Constables Landschaft immer die Wohnstatt des Menschen ist, weshalb seine Stücke oft eine Spur von Genremalerei haben. Das wird auf den großformatigen Bildern deutlich, die für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Das Publikum sollte erkennen können, was der Maler zeigen wollte. Hier geht es aber mehr darum, was Constable in den englischen Landschaften sehen wollte, und das erkennt man  auf den skizzenhaften Gelegenheitsarbeiten besonders gut.

John Constable, The Stour
 

Linien, die die Körper begrenzen, gibt es gar nicht mehr. Die Pinselführung ist derb, auch der Lichteinfall wird nicht genutzt, um auf der Leinwandfläche eine Tiefe des Raumes vorzutäuschen, die Farbflächen – d.h. die Farbstreifen liegen unvberholen nebeneinander, und ungeniert wird nicht das gemalt, ‘was wirklich da ist’, sondern was die Landschaft ausdrücken zu wollen scheint. Und immer ist es ein herber, mitunter düsterer Ausdruck, den Constable seinem Land abgewinnt. Heiter, verspielt, lieblich? Das ist vielleicht Italien. Die Nebelinsel in der Nordsee kann froh sein, wenn er ihr auf den Bildern, die er verkaufen will, ein paar Sonnenstrahlen gönnt. Für den Eigengebrauch tut er  nicht einmal das. 

Constable, Kähne auf dem Stour

Ein Romantiker ist er, allerdings; aber ein expressionistischer.
 
john constable-seestuck-m-regenwolken-1827


Nota, Nov. 2013

Die paar Zeilen über - 'gegen' wäre richtiger - Thomas Gainsborough sind ungerecht. Die Landschaftsmalerei nimmt einen erheblichen Platz in seinem Werk ein, er war der erste Engländer, der die Landschaft als ein Thema entdeckte: Er malte sie,
obwohl es seinem Ruf schadete, um sich von den ewigen Porträts zu erholen.
 




Eine starke Prägung durch die barocken Holländer ist nicht zu übersehen, doch ist er ein Rokkoko-Künstler, er bevorzugt das Sentimental-Idyllische, wozu ihm die englische Landschaft auch mehr Anlaß bietet als jenen die Ihre. Aus demselben Grund nimmt der Himmel bei ihm nicht so viel Raum ein, und wirklich englische Himmel würden auch gar nicht in seinen Stil passen. Mit andern Worten, ganz lebensecht sind diese 'englischen' Landschaften nicht. Sie sind im Atelier und dem Kopf entstanden und nicht so sehr 'in der Natur'. 

Umso naturalistischer ist die Darstellungsweise. Wo nicht auf Schritt und Tritt der Horizont zu sehen ist, darf und muss der Raum auch wieder Tiefe gewinnen, die Linearperspektive kehrt zurück, die 'Szene' zieht er der 'weiten' Landschaft vor, und da er uns die englischen Himmel erspart, kann auch wieder Farbe ins Bild kommen. Monochromien sind bei Gainsborough selten.

In formaler Hinsicht ist er also eher konventionell. Aber er hat die Landschaft als Sujet in den Kreisen des höheren Adels durchgesetzt, und dies gegen den mächtigen Einfluss des Akademiepräsidenten Joshua Reynolds, den er heute in der Publikumsgunst weit in den Schatten stellt.*

*) was dieser doch auch nicht verdient hat.

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