Freitag, 15. November 2013

Freud und alte Meister.

aus NZZ, 11. 11. 2013                                                                                                                                Titian, Diana und Callisto   

Alte Meister
Lucian Freud im Kunsthistorischen Museum Wien
 

Das Wiener Kunsthistorische Museum präsentiert die erste Einzelausstellung von Lucian Freud in Österreich in gewollter Nachbarschaft zu den alten Meistern und wirft damit erhellende Schlaglichter auf sein modernes und doch zeitloses Werk, aber auch auf Tizian, Bruegel und Co.

von Andrea Winklbauer

Der britische Maler Lucian Freud war ein grosser Bewunderer der alten Meister: «Diese Bilder der Vergangenheit sind so kraftvoll, dass man sich gar nicht vorstellen kann, wie irgendjemand sie schaffen konnte, aber auch, wie sie jemals hätten nicht existieren können.» Rembrandt, Frans Hals, Pieter Bruegel der Ältere oder Diego Velázquez hiessen seine Helden, denen er im eigenen kraftvollen Werk Reverenz erwies. Tizians Gemälde «Diana und Actaeon» und «Diana und Callisto» bezeichnete er sogar als die schönsten Bilder der Welt. Betrachtet man dazu noch sein OEuvre mit den immer wieder sehr deutlichen Verweisen auf kunsthistorische Vorbilder, so erscheint es folgerichtig, Lucian Freuds Werke in Museen historischer Kunst zu zeigen und sie diesen Vorbildern auch physisch gegenüberzustellen. Das ist schon früher geschehen, aber noch nie in einem Ausmass wie derzeit im Kunsthistorischen Museum Wien (KHM), das eine Anzahl wohlausgewählter Bilder Freuds in der Nachbarschaft von hochkarätigen Werken alter Meister präsentiert.

 
Sigmund Freuds Enkel 

Die Ausstellung ist in Wien das Ereignis der Saison. Noch nie war das malerische Werk von Sigmund Freuds Enkel in einer Einzelausstellung in Österreich zu sehen, obwohl es schon früher Bemühungen darum gab, allein: Freuds Interesse an einer Ausstellung in Wien, der Stadt, aus der sein Grossvater und dessen Familie vertrieben und vier seiner Grosstanten deportiert und in der Folge ermordet worden waren, war denkbar gering. Erst dem Kurator der Schau, Jasper Sharp, Adjunct Curator for Modern and Contemporary Art am KHM, gelang es mit seinem Konzept, Freud aus der Reserve zu locken: Er schlug ihm eine kleine Ausstellung vor, in unmittelbarer Nähe zu Bruegel und Tizian, aber doch von diesen getrennt. Leider starb der 1922 in Berlin geborene und seit 1933 in England lebende Künstler im Juli 2011.

Falling over, 2005 

Die Ausstellung, die er nicht mehr erleben konnte, war zu dieser Zeit aber bereits in wesentlichen Punkten geplant, von der Erstauswahl der Werke über die Wandfarbe Grau und einer in Altmeistermuseen üblichen, etwas engeren Hängung. In streng chronologischer Abfolge entrollt sich im KHM Freuds malerischer Werdegang, von einem frühen, surrealistisch und neusachlich beeinflussten Selbstporträt des 21-Jährigen über Bilder von Pflanzen und Tieren, Porträts von Ehefrauen, Geliebten, Kindern, Freunden und Nachbarn bis zu den ungeschönten Akten, darunter ein spätes Selbstporträt und das unvollendete Bild, an dem er zuletzt gearbeitet hat. Lucian Freud begann zu einer Zeit, als es ganz unmodern war, mit feinem Pinsel und altmeisterlicher Technik figurativ zu malen. Um die Mitte der 1950er Jahre wechselte er zum breiteren Borstenpinsel und einer freieren Malweise. Etwa zur selben Zeit begann er, ausschliesslich stehend zu malen, und behielt diese Angewohnheit bis zum Schluss bei. Mit seinem beeindruckenden Realismus wurde Freud zu einem der bedeutendsten Maler des 20. und frühen 21. Jahrhunderts.

 

Von einem Künstler, der wie Lucian Freud über andere Künstler spricht, lässt sich viel lernen. Im Dialog mit den Gemälden des Kunsthistorischen Museums sprechen aber auch seine Bilder und vermitteln Einsichten, die sowohl das moderne und doch zeitlose Werk des Briten als auch die sie umgebenden Bilder der alten Meister erhellen. Am verblüffendsten ist vielleicht die Erkenntnis, dass es nur 43 Werke sind, die den Eindruck einer umfassenden Retrospektive erwecken. Jedes Einzelne davon scheint eine gesteigerte Intensität zu besitzen, wie man sie sonst nur von OEuvres kennt, die der Lauf von Jahrhunderten bereits eingedampft hat. Es ist dieselbe Art von Intensität, die auch die grossen Altmeistergemälde um die Ausstellung herum ausstrahlen. Lucian Freud, ihr Bewunderer, erweist sich vor Ort als ebenbürtig.

 

Es ist aber nicht so, dass Freuds Bilder altmeisterlich aussähen. Vielmehr belegen sie ihre Zeitgenossenschaft durch eine zeitnah anmutende Ästhetik in der Behandlung ihrer eindeutig heutigen Sujets, was durchaus bewirkt, was ihr Schöpfer von einem Bild verlangte: «Ich will, dass es in Staunen versetzt, verstört, verführt, überzeugt.» Man bekommt den Eindruck, dass auch eine grosse Neugier auf das Menschliche ihren Anteil daran hat, besonders in den Aktdarstellungen, die zum Heftigsten gehören, was Freuds OEuvre zu bieten hat. 

 

Schonungsloser Realismus 

Da er nicht mit professionellen Modellen arbeitete, begegnen uns auch auf den Aktbildern zumeist Menschen aus seiner Umgebung: Freunde, Geliebte, Künstlerkollegen oder die eigenen Töchter. Lucian Freud, der zu jenen Malern gehörte, die sich häufig selbst porträtieren, hat das Genre Akt auch für ein mutiges Selbstbildnis gewählt, das in ganzer Figur den Körper des damals schon Siebzigjährigen mit derselben realistischen Unverblümtheit zeigt wie sonst diejenigen seiner Modelle: «Das Mindeste, was ich tun kann, ist, mich nackt zu malen», kommentierte er. Wie schwer es ihm gefallen sein mag, enthüllt seine Antwort auf die Frage, ob er sich selbst ein gutes Modell sei: «Ich kann die Information, die ich bekomme, wenn ich mich anschaue, nicht akzeptieren, und da wird es schwierig.» Doch für Freud sollte ein gutes Bild auch «ein Quentchen Gift» enthalten wie etwa ein Bewusstsein der Sterblichkeit. Angesichts dieses Selbstporträts bekommt man einen Eindruck davon, was er meint.

 

Viele von Freuds Aktbildern ziehen die Blicke wie magisch an, nicht, weil sie schön im herkömmlichen Sinn wären, sondern weil man die Kraft des Künstlers bewundert, den nackten Menschen in all seiner Individualität und Würde realistisch zu malen, ebenso wie den Mut der Modelle, sich dem vorbehaltlos auszusetzen. Man spürt wieder einmal, wie sehr der nackte Körper konventionellen Sehgewohnheiten widerstrebt, erst recht, wenn er nicht den Normen entspricht. 

 

Die Nacktporträts des australischen Performance-Künstlers Leigh Bowery oder der Beamtin Sue Tilley, deren sehr fülligen Leib Freud auf einem Sofa drapierte, stehen vielleicht auch deshalb den Altmeistergemälden nahe, weil sie Körper feiern, deren Schönheit nicht zum heutigen Ideal passt. Umgekehrt öffnen Freuds Bilder die Augen für Qualitäten der alten Meister, für die man als «gelernter» Museumsbesucher blind geworden ist: ihre genaue Beobachtungsgabe, ihr Mitgefühl und die Menschlichkeit, mit der sie, wie Freud, intensive, schonungslose, aber auch glaubwürdige Bilder von Menschen ihrer Zeit schufen.
 
 
Spannend ist auch ein Filmdokument, das in der Ausstellung zu sehen ist: «The Last Day of Painting» von Freuds langjährigem Assistenten David Dawson. Es zeigt den Maler am 3. Juli 2011, dem letzten Arbeitstag seines Lebens, im Atelier. Mit der gleichen gesteigerten Neugier wie seine Werke betrachtet man auch diese wenigen Minuten Film, vielleicht in der Hoffnung, etwas noch Unerkanntes - Freuds Geheimnis? - zu entdecken. Es ist dieselbe Neugier an der Existenz eines anderen, die einem eben noch so intensiv in Freuds Werk begegnet ist.

Lucian Freud. Kunsthistorisches Museum Wien. Bis 6. Januar 2014. Katalog auf Deutsch und Englisch: € 39.95.

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