Sonntag, 1. März 2015

V. Die Wandlungen des Schönen.

Tizian/Giorgione, Ländliches Konzert                                                                                                                    aus Über Ästhetik, Rohentwurf, 19

Mit der Renaissance wurde das Schöne zum Prinzip der - ipso facto verselbständigten - Kunst; womit das Ästhetische in einem spezifischen Sinn allererst konstituiert wird; während in der Antike das Schöne nicht vor allem der Kunst (bloß "Nachahmung", bei Plato), sondern dem Kosmos (nicht Werden, sondern Sein=Bild) selbst zugesprochen wird. Aber wie in der Antike wird das Quale des Schönen in der kosmischen Harmonie gesehen. In der Antike leuchtete in den schönen Gegenständen (den höchsten: den Knabenkörpern) die Wahrheit der Ideen in die (wilde) Welt der Erscheinungen (des Werdens) hinab. 

Die Errungenschaft der Renaissance ist die Erwartung, die Gesetze der kosmischen Harmonie in die Welt des Werdens durch Kunst hineinarbeiten zu können - überall dort, wo sie noch wild und roh ist. Wild und roh wie die Menschen selbst: Das Mittelalter waren die "Flegeljahre" des Abendlands, nach Egon Friedell. Bestimmung der Kunst - und der humanistischen Bildung überhaupt - ist darum unter anderm, wenn nicht vor allem, die Milderung, Verfeinerung der Sitten. Der Renaissance- mensch selbst ist ein Wüstling, aber die Giangaleazzos betrachten sich auch nicht als ihr eigenes Ideal! Der Fürst sucht seine Rechfertigung als Förderer der Künste: Medici/Florenz, D'Este/Ferrara; es folgt der Aufstieg des Phänotyps des cortigiano: Tasso! (nördlich der Alpen zum Geheimen Hofrat und seinen Kanzlisten aufgeklärt). 

Seit Rousseau gelten dann die "milden" Sitten wiederum als gezwungen, geziert und falsch. Erst jetzt kann die zusätzliche Milde, Süße, Harmonie, Glätte, Gefälligkeit des Schönen als übermäßig empfunden werden. Erst in einer verweichlichten, harmonisierten, konventionellen, gemäßigten und geschniegelten bürgerlichen Welt kann das Schöne zuviel des Guten bieten: nämlich Kitsch. Die sentimentale, kitschige Kunst ist eine solche, die den ehedem rohen, inzwischen domestizierten und gebildeten Menschen mit sich selbst in "Harmonie", nämlich Selbstgefallen versetzt - statt ihn über seine Befindlichkeit hin- weg zu reißen. 

(Sind Tiepolos Fresken an sich nicht Kitsch? In einem Land, das eben einen dreißigjährigen Bürgerkrieg hinter sich gebracht hat, nicht. Aber das Zeug an den Wänden und Decken des Berliner Doms ist es gewiß, und nicht bloß wegen der minderen Ausführung. - Seit den siebziger Jahren galt als Inbegriff des anästhetisch-Flachen, Öden, Häßlichen der Soziale Wohnungs- bau der 50er, 60er Jahre - und seine grausige Überbietung: der Plattenbau der DDR. Aber nach dem Krieg, in der Trümmer- wüste des zerbombten Berlin, wo uns von der ganzen rauchgeschwärzten Bizarrerie buchstäblich die Augen weh taten, da haben wir alle die quadratisch-praktisch-gute Freundlichkeit der Interbau ('58) mit ihrem neuen Hansaviertel richtig schön gefunden. Es war eben eine nüchterne und keine romantische Zeit.)



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