Sonntag, 7. Februar 2016

Noch einmal über Realismus in der Malerei.


Millet, Holzfäller

In der bildenden Kunst hat das Wort Realismus nur Sinn, wenn man als res nicht die Dinge selbst, sondern das jeweilige Sujet des Bildes auffasst. Realismus wäre dann das Bemühen, einem jeden Sujet die bestangemessene Darstellungsweise zu finden.


Sujet sind nicht die abgebildeten Gegenstände, sondern das, was mit dem Bild gemeint ist. Beide Bilder von Millet zeigen Menschen bei der Arbeit. Doch das eine Mal ist es die körperliche Kraft, die gemeint ist, und das andere Mal ist es die Fruchtbarkeit der Erde. Die Holzfäller sind in dunklen, fast düsteren Farben gehalten, der Lichkontrast ist dramatisch. Beschwerlich ist auch das Auflesen der Ähren, zwar kostet es keine Kraft, aber es zieht im Rücken. Darum geht es hier aber nicht: Nichts, was die Erde gab, soll ungeachtet bleiben. Es ist trotz allem eine ländliche Idylle, entsprechend sanft sind die Farben gehalten, die einzigen starken Akzente sind die Kleider der Frauen, auch ihre Haltung, ihre Anordnung im Zentrum, verkünden Einklang.


Millet, Die Ährenleserinnen

Diese Bilder nach rein-ästhetischen Gesichtspunkten zu betrachten und alles abzuziehen, was mit dem jeweiligen Thema zu tun hat, würde selbst von der 'bloßen Form' kaum etwas übriglassen. Es findet sich auf diesen Bildern wie allgemein im Werk von Millet keine besondere Machart, die man an ihnen als ihre Gemeinsamkeit wiedererkennen könnte, er bleibt zwar der relativ treuen zeichnerischen Wiedergabe der Gegenstände verpflichtet, doch war das zu seiner Zeit kein unterscheidendes Merkmal. Wenn man von einem realistischen Stil reden wollte, so könnte es nicht die Eigenart der Bilder betreffen, sondern nur die Haltung des Künstlers zur Kunst: Jedem Sujet das seine. Denn ein Sujet hat jedes von ihnen.

Zum Vergleich eines der bekanntesten Bilder von Camille Corot, die Kathedrale von Chartres.


Zunächst einmal: Die Machart ist bei Corot variantenreicher, als es auf den ersten Blick scheint.

Nun zu Chartres.

Man sollte meinen, das Sujet oder doch wenigstens der Bildgegenstand sei die frühgotische Kirche. Aber wozu der grüne Sandberg und der Steinhaufen? Was machen die so demonstrativ beziehungslosen Figuren da vorn? Einander zugewandt sind sie wohl, aber sie sehen sich nicht. – Es ist einfach so: Die Kathedrale ist nicht das Sujet. Das Sujet dieses Bildes ist das Bild selber. Der Sandberg war erforderlich, um die Kathedrale, die im Zentrum stand, daraus wieder zu verdrängen, der Steinhaufen verschafft ihm einen festen Stand. Die Figuren sehen sich nicht an, sondern lenken den Blick des Betrachters – nicht auf etwas hin, sondern von etwas ab, nämlich vom Szenario. Bei einer verhältnismäßig naturgetreuen Zeichnung (und allerdings recht flächiger Auflösung) der Gegenstände ist es gewissermaßen ein abstraktes Gemälde. Es anders als ästhetisch auffassen zu wollen, wäre gewaltsam.

Dabei war Corot älter als Millet, und als Stifter der Schule von Barbizon gelten sie beide.

Millet, Frühling




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