Dienstag, 21. Februar 2017

Schiele in der Albertina.

aus Die Presse, Wien,                                                          Selbstbildnis in gelber Weste, 1914.



Schiele in der Albertina: Sex und Spiritualität
Nach zwölf Jahren zeigt die Albertina wieder ihren Kernbestand an Schiele-Zeichnungen. Jedes Mal ein bewegendes Erlebnis. Diesmal verknüpft mit den jüngeren Erkenntnissen zu Schieles Identifikation mit dem Hl. Franziskus. 

 

Egon Schiele war ein großer Maler. Aber er war ein großartiger Zeichner, einer der berührendsten und radikalsten der Moderne. Wenn die Albertina also den Kernbestand seines zeichnerischen Werks aus dem Depot holt, alle zehn, 15 Jahre, ist das ein Ereignis, das man mit Achtsamkeit verfolgen sollte. Zum zweiten (und zumindest als Direktor letzten) Mal hat Klaus Albrecht Schröder jetzt als Kurator die Richtung der aktuellen Schiele-Lesart vorgegeben. Wir erinnern uns: 2005 tat er das mit einem Großaufgebot von 220 Werken, These damals war, Schiele als seriellen, performativen Künstler vorzustellen.

Mädchenakt mit ockerfarbenem Tuch, 1911

Diesmal hat Schröder es mit „nur“ 160 Werken, davon 20 Leihgaben, konzentrierter, dadurch natürlich auch ein wenig manipulativer in Richtung seiner Thesen angelegt: Diesmal soll Schieles spirituelle Seite betont werden, soll sich der für Schröder immer noch dominanten Lesart Schieles als erotischer Schweinigel entgegenstemmen. Das sei durchaus tendenziös, gibt Schröder zu, etwa wenn die (bekleideten) Porträts von Armenkindern die immer noch provokanten Mädchenaktbilder überwiegen. Wenn auch nicht ausblenden. Und das ist wichtig, so kann der Blick tatsächlich gelenkt, aber nicht getäuscht werden.

Um 90 Grad gedreht

Gelenkt also darauf, dass die künstlerisch wesentlichen Mädchenakte Bilder von ungeheurem existenziellen Zwang sind in ihrer formalen Einengung, ihrer Verstümmelung, ihrer Säulenhaftigkeit und ihrer Einsamkeit. Sie schweben im Nichts, keine Accessoires, kein angedeuteter Hintergrund, nichts hält sie. Dieser verlorene Halt des Menschen an sich spielt eine stärkere Rolle als bisher gedacht, Schröder präsentiert einige Blätter um 90 Grad gedreht, also gegen die Schwerkraft vielleicht, zum Beispiel beim Bild der eigentlich liegenden Mutter Schieles, aber im Sinne von Schieles Signatur, deren Lesbarkeit laut Schröder auch die Lesbarkeit des Motivs vorgibt. Was einen interessanten Effekt hat, die Körper erhalten einen unnatürlich wirkenden Drall, einen Zug hinauf, der sie wie barocke Heilige bei der Apotheose wirken lässt.

 Selbst

Womit wir beim Kern der Schiele-Schau dieses Jahrzehnts angelangt wären, der Spiritualität. Basierend auf den Erkenntnissen des Schiele-Forschers Johann Thomas Ambrózy wird einem Schieles Identifikation mit dem um 1900 wieder vermehrt rezipierten Hl. Franziskus nahegelegt, plötzlich versteht man die vielen Kutten, in die Schiele sein kärgliches nacktes Selbst hüllt, überhaupt die auffällige Nacktheit, die seine Selbstporträts kennzeichnet; kein Künstler vor ihm hat das derart massiv ins Bild gerückt. Man denke jetzt an den Hl. Franziskus, der sein letztes Hemd, seine Kleider abwirft, vor dem Vater, der Erfolg und Gehorsam einfordert, und sich für die Armut und für Gott entscheidet. Mit Vergleichen zu Franziskus-Illustrationen, die Schiele gekannt hat, und mit der in diesem Zusammenhang plötzlich klar werdenden Titelgebung einiger bisher eher als pathetische Ausrufe gewerteten Bilder („Entsagung“, „Andacht“) erscheint diese Ikonografie fast zwingend. Ambrózys Forschungen sind in der Fachwelt zwar seit 2009 bekannt, in diesem institutionellen Rahmen aber werden sie nun wohl endgültig zum Kanon.

 Andacht
 
Den Sex mit dem Hl. Franz austreiben?

Wo der Hl. Franziskus, da ist auch die Hl. Klara nicht weit, und die Hl. Agnes. Und unweigerlich muss man an die Schwestern Harms denken, mit denen Schiele eine Menage-à-trois hatte, bevor er die eine, die jüngere natürlich, Edith, heiratete. Eine gesellschaftlich „günstige“ Heirat, wie er betonte, für die er die wilde Ehe mit seinem Modell und seiner Mitstreiterin in dunklen Zeiten, Wally, aufgab. Was man nicht kann, ist die Person und auch den Künstler Schiele in einem Film (wie unlängst), aber auch nicht in einer Ausstellung (wie dieser) fassen. Diese Person ist hochgradig ambivalent. Man kann ihm die sexuellen Geworfenheiten, Begierden, Abgründe nicht mit dem Hl. Franziskus austreiben. Ihn als pädophilen Pornografen misszuverstehen wäre allerdings noch schändlicher.

Adele Harms, die Schwägerin 1917

Man muss kein großer Freudianer sein, um teils wirklich an Tabus rührende Rückbezüge zu Schieles Kindheit, zu seinem früh verstorbenen Vater zu erkennen, bei dem Sex und Existenzialismus (durch den Irrsinn einer Syphilis-Erkrankung) in einer Person kulminierten. Nur zwei Hinweise: Der Vater verliebte sich in Schieles Mutter, als diese zwölf Jahre alt war. (Schiele spielte diese Beziehung in wie auch immer unschuldigem Grade mit seiner jüngeren Schwester Gerti nach.) In einem Anflug von Irrsinn verbrannte der sehr auf Status ausgerichtete Vater in der Tullner Bahnhofsvorstands-Wohnung dann das Vermögen der Familie, die Wertpapiere, im Ofen – ein Hl. Franziskus ohne Bewusstsein?

Nein, es wird einem nie langweilig mit diesem Künstler. So viele Albertina-Ausstellung kann man gar nicht machen, so viele kann man gar nicht sehen in seinem Leben, als dass nicht jede einzelne ein Gewinn wäre. Künstlerisch, historisch, psychologisch, meinetwegen spirituell, jedenfalls persönlich.

Egon Schiele, bis 18. Juni, tägl. 10–18 h, Mi. 10–21 h.

Frauenakt mit grüner Haube 1914


aus Der Standard, Wien, 22.2.2017

Egon Schiele: Der auf sich selbst zurückgeworfene Körper
Mit Egon Schiele widmet sich die Albertina einem Superstar der Wiener Kunstgeschichte. Um das Klischee vom Pornografen zu brechen, betont man dabei die existenzielle und spirituelle Dimension seines Schaffens 

von Roman Gerold

Wien – Mit Beschönigung hatte Egon Schiele (1890–1918) nichts am Hut. In einer Zeit, da sich der Jugendstil an die umfassende Ästhetisierung der Lebenswelt gemacht hatte, brach er in Sphären jenseits verklärenden Glanzes und floraler Ornamentik auf. Blüten treiben, wenn man so will, zwar auch seine Körper; aber hier sind es Auswüchse, die auf Defekte verweisen, auf die Hinfälligkeit der Kreatur Mensch. 


Aktselbstbildnis, 1916.

Was der illusionslose Blick des Expressionisten auftat, jene deformierten, buchstäblich von innerer Zerrissenheit gezeichneten Körper, kann Betrachter bis heute nicht unberührt lassen. Davon kann und sollte man sich aktuell in der Wiener Albertina einmal mehr überzeugen. Zwölf Jahre nach der letzten Schau widmet man sich dort nun mit 160 Arbeiten dem Zeichner Schiele.

Ängstliche, verlorene Blicke erreichen einen da aus den Bilderrahmen, in denen ausgezehrte, makelvolle Figuren ausgesetzt wirken. Die knochigen Gliedmaßen sind oft in die Länge gezogen, die Haut stellenweise aschfahl. In intensiven Porträts und Akten umreißt Schieles meisterhafte, unzweideutige Linie Ungeheures, die entblößte Wahrheit.

Vor allem gilt dies freilich für die Akte, die den Künstler manisch umtrieben. Knallrot leuchtend setzen sich darin Genitalien oder Lippen von den fahlen Körpern ab, wie Wunden. Nichts Unernstes hat die Sexualität hier wie etwa noch bei Klimt. Sie erscheint eher als Symptom der unheilbaren Krankheit Leben.


Auf dem Bauch liegender weiblicher Akt, 1917.

Die Erotik, die sich in diesen Bildern entfaltet, ist doppelbödig. Denn sicher, da ist die Entrücktheit der Masturbierenden und der Paare. Stets schwingt aber auch das Wissen mit, dass das mit der Vereinigung letztlich wieder nicht hingehaut haben wird. Wie eine Marionette hängt der Künstler in einem Selbstporträt mit seiner Ehefrau in deren Armen, verheddert, doch unfähig zur Verschmelzung. Hier ist "am Ende des Tages der Mensch allein", so Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Albertina und Kurator der Schau.

Mit der aktuellen Ausstellung möchte er denn auch gegen das seiner Einschätzung nach immer noch wirkende Klischee von Schiele als Pornografen vorgehen. Weder in den Erwachsenen- noch in den (vollends zwiespältigen) Kinderakten stehe nämlich die Sinnlichkeit im Vordergrund, sondern in erster Linie der auf sich selbst zurückgeworfene Körper.

Schwarzhaariges Mädchen, 1912

Ins Leere gehende Gesten

Ja, alles ist hier dem Menschen radikal infrage gestellt, woran er sich gegen die Unwägbarkeiten der Existenz klammern könnte: seine Räume, seine Zeit, seine Identität. Buchstäblich zu verstehen ist dies etwa im Falle eines "Cellospielers", den Schiele 1910 zeichnete und dem er in seiner Darstellung das Cello nahm. Während die Körperhaltung dem Musizieren entspricht, klafft an der Stelle des Instruments eine Leerstelle, die den Musiker lächerlich, affig erscheinen lässt.

Immer wieder ließ Schiele auf diese Weise Gesten, auch solche der Liebe, ins Leere laufen. Bisweilen erscheinen seine Figuren "fallend", weil ihnen im Nachhinein die Möbel entzogen wurden, auf denen die Modelle posierten. 

 Sitzendes Paar 1915

Bemerkenswert ist im Hinblick auf die Haltlosigkeit eine Serie von Zeichnungen, die schlafende oder in Trance befindliche Frauen zeigen (u. a. die Mutter des Künstlers). Bei diesen entschied man sich nun, sie im Gegensatz zu früher um 90 Grad gedreht zu hängen, so, wie es im Übrigen auch die Signatur Schieles nahelegt. Jedenfalls wirken die Damen nun nicht mehr friedlich hingelegt, sondern als ob sie von einer Schaufel gekippt würden.

Gegen das Klischee vom Erotomanen Schiele richtet sich indes auch Schröders Betonung der spirituellen Dimension in dessen Œuvre. Eine Schlüsselstelle der Schau ist eine Serie lange unverstandener, allegorischer Zeichnungen, die "Erlösung" oder "Die Wahrheit wurde enthüllt" heißen. Wie Schiele-Experte Thomas Ambrózy 2009 darlegte, bezog sich der Künstler darin auf den heiligen Franziskus und dessen entsagungsreichen seelsorgerischen Kult: eine Perspektive, die auch den Rest der Schau in einem anderen Licht erscheinen lässt. 

Die Wahrheit wurde enthüllt, 1913

Letztlich bleibt Schiele, der schon zu seiner Zeit als großes Talent gerühmt wurde und 28-jährig an der spanischen Grippe starb, freilich auch nach dieser schönen Schau ein Rätsel. Ein Rätsel, dem auch nach vielen Blicken in die Augen des Künstlers auf seinen obsessiv angefertigten Selbstdarstellungen nicht ganz auf den Grund zu gehen ist. 

Link
Albertina


Nota. - Ich nehme an, diese Sorte von Schiele-Bildern kenn Sie alle. Finden Sie das erotisch? Ich sehe gar nichts Aufreizendes darauf, eher das Gegenteil. Was ihn am menschlichen Körper am meisten fasziniert zu haben schint, war seine capability zur Hässlichkeit; wenigstens dazu, als hässlich dargestellt zu werden.

Dass Schiele heute fast so populär ist wie van Gogh in den 50er Jahren, kann man nur begrüßen. Dass sich aber diese Popularität aber immer noch auf seine schrundigen Nackten beschränkt, ist zu beklagen. Daran hat die Ausstellung in der Albertina nichts geändert, und wohl auch nicht ändern wollen.

Die Werke der Kunst aus den Biographien der Künstler, aus ihren Schickalen und Vorlieben zu interpretieren, ist weit verbreitet und verschafft kustgeschichtlich manchen Aufschluss. Aber es muss sich in den meisten Fällen ans Motivische halten; eigentlich ästhetische Einsichten sind so nicht zu erlangen. Das ist aber das, was mich mehr interessiert. Und da ist es mir ziemlich gleichgültig, ob er ein pädophile Pornograph oder ein religiöser Schwärmer war. Und da interessieren mich seine Landschaften, Hausansichten und Stillleben mehr als das welke nackte Fleisch. Viellciht sollte ich mir im Internet meine eigene Schiele-Ausstellung zusammensuchen?
JE


 

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