Samstag, 30. September 2017

Anton Kolig im Wiener Leopold-Museum.

aus Der Standard, Wien, 26. September 2017, 13:04                                                         Die Sonnensucher 1947
 
Das Kreisen versöhnlicher Farbgedanken
Das Leopold-Museum zeigt in einer umfassenden Retrospektive das malerische und zeichnerische Werk von Anton Kolig, einem der bedeutendsten Vertreter der österreichischen Avantgarde vor 1914. Im Fokus steht dabei die Leuchtkraft seines Spätwerks.



Wien – Man mag es kaum glauben, aber in der Tat ist im Leopold-Museum die erste, ausschließlich Anton Kolig gewidmete Retrospektive in Wien seit 1948 zu sehen. Es kann also durchaus von einer Wiederentdeckung seines Werks gesprochen werden, obwohl Kolig – Mitbegründer des Nötscher Kreises – als einer der wichtigsten Vertreter der österreichischen Avantgarde vor 1914 gilt.

Rund 60 Gemälde und 50 Arbeiten auf Papier sind in der von Franz Smola kuratierten Schau zu sehen, ein Drittel der malerischen Werke stammt aus der Sammlung des Hauses. Während Kolig hauptsächlich bekannt ist für seine männlichen Aktfiguren – der Jüngling mit Amor (1911) etwa ist sonst in der Dauerausstellung zu sehen – legt die Retrospektive Wert darauf, alle Facetten seines OEuvres darzustellen.

Jüngling mit Amor 1911

Einfluss des Wiener Umfelds

Die frühen Gemälde des 1886 in Neutitschein in Mähren geborenen Künstlers zeigen deutlich den Einfluss seines Wiener Umfelds. Zwischen 1904 und 1912 studierte er an der Kunstgewerbeschule und der Akademie der bildenden Künste, lernte Oskar Kokoschka und die Nötscher Franz Wiegele und Sebastian Isepp kennen.

Das Porträt der Mutter des Künstlers mit Jardinière aus dem Jahr 1911 mutet durch die geometrische Form der Figur secessionistisch an, man fühlt sich an Carl Moll, aber auch Koloman Moser oder Gustav Klimt erinnert.

Portrait der Mutter des Künstlers mit Jardinière, Ausschnitt, 1911

Zwischen 1912 und 1914 kann Kolig einen Studienaufenthalt in Paris ergattern, wo er die alten Meister studiert und die französische Malerei kennenlernt. Es sind eben diese Zeitgenossen, insbesondere Paul Cézanne und Henri Matisse, unter deren Einfluss Koligs Haupt- und Spätwerk steht. Die leuchtenden, teilweise geradezu grellen Farben dominieren insbesondere sein Spätwerk, etwa die Entwürfe für ein nicht realisiertes Fenster des Stephansdoms. Der expressive Pinselstrich, der vielerorts nahe an die Abstraktion führt, ist dagegen schon früh Koligs Markenzeichen.

 Die Familie des Künstlers, 1928,

Die Farbe war stets Zentrum seines künstlerischen Schaffens: In einem Brief bezeichnet er seine Bilder als "Farbgedanken", die um ihn kreisen, seine Studenten, die er zwischen 1928 und 1944 an der Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste unterrichtet, nennt er "Apostel der Farbe".

Farbrausch statt Politik

Es ist ein Verdienst dieser Ausstellung, dass diese Stuttgarter Jahre, die durch den Quasirauswurf mit großer Enttäuschung Koligs und seinem Rückzug nach Nötsch endeten, nun beleuchtet werden. Julia Müller hat sie in ihrem Beitrag zum Katalog aufgearbeitet, ebenso erstmals publiziert wurde ein umfassendes Ausstellungsverzeichnis.

Kniender Narziss, 1920

Die Darstellung des menschlichen Körpers begleitete Kolig durch alle Schaffensphasen, insofern ist es richtig, dass das Leopold-Museum in seinem neugeschaffenen Grafikkabinett auch dessen Studienblätter zeigt. Im Vergleich mit den Haupträumen erkennt man spätestens hier das "Farbgenie" Anton Kolig, denn gegen die kolorierten Skizzen wirken die restlichen geradezu fad.

Kniender Narziss, 1920

Es lohnt sich allemal, Koligs Werk wiederzuentdecken, auch wenn es aus heutiger Sicht etwas brav wirkt. "Wo Kokoschka den Menschen infrage stellt, ist Kolig versöhnlich. Er stellt niemanden infrage", so Smola. Anstelle eines politischen oder philosophischen Anspruchs steht bei ihm: der Farbrausch. 
Selbstbildnis in blauer Jacke 1926


Nota. - 'Anstelle eines politischen oder philosophischen Anspruchs steht bei ihm: der Farbrausch.'  - Das kann man/frau schreiben, wenn man (frau) der Auffassung ist, Sache der Kunst sei, etwas 'infrage zu stellen'. Wenn einEr dies geschrie- ben hätte mitten im Pulverdampf der 20. Jahrhunderts, könnte ich es verstehen. Als Kokoschka sich bereit fand, Konrad Adenauer zu porträtieren, lud er viel Schimpf auf sich - auch schon nicht ganz zu Recht. Aber das 20. Jahrhundert ist vorüber, der Mann ist seit 67 Jahren tot. Da kommt mir die Vorstellung von einem Kampfauftrag der Kunst recht ausge- blichen vor. Jedenfalls führt sie den ästhetischen Blick ganz in die Irre.
JE



Anton Kolig im Leopold-Museum: Das Kreisen versöhnlicher Farbgedanken Kathrin Heinrich26. September 2017, 13:04 posten Das Leopold-Museum zeigt in einer umfassenden Retrospektive das malerische und zeichnerische Werk von Anton Kolig, einem der bedeutendsten Vertreter der österreichischen Avantgarde vor 1914. Im Fokus steht dabei die Leuchtkraft seines Spätwerks Wien – Man mag es kaum glauben, aber in der Tat ist im Leopold-Museum die erste, ausschließlich Anton Kolig gewidmete Retrospektive in Wien seit 1948 zu sehen. Es kann also durchaus von einer Wiederentdeckung seines Werks gesprochen werden, obwohl Kolig – Mitbegründer des Nötscher Kreises – als einer der wichtigsten Vertreter der österreichischen Avantgarde vor 1914 gilt. Rund 60 Gemälde und 50 Arbeiten auf Papier sind in der von Franz Smola kuratierten Schau zu sehen, ein Drittel der malerischen Werke stammt aus der Sammlung des Hauses. Während Kolig hauptsächlich bekannt ist für seine männlichen Aktfiguren – der Jüngling mit Amor (1911) etwa ist sonst in der Dauerausstellung zu sehen – legt die Retrospektive Wert darauf, alle Facetten seines OEuvres darzustellen. Einfluss des Wiener Umfelds Die frühen Gemälde des 1886 in Neutitschein in Mähren geborenen Künstlers zeigen deutlich den Einfluss seines Wiener Umfelds. Zwischen 1904 und 1912 studierte er an der Kunstgewerbeschule und der Akademie der bildenden Künste, lernte Oskar Kokoschka und die Nötscher Franz Wiegele und Sebastian Isepp kennen. Das Porträt der Mutter des Künstlers mit Jardinière aus dem Jahr 1911 mutet durch die geometrische Form der Figur secessionistisch an, man fühlt sich an Carl Moll, aber auch Koloman Moser oder Gustav Klimt erinnert. Zwischen 1912 und 1914 kann Kolig einen Studienaufenthalt in Paris ergattern, wo er die alten Meister studiert und die französische Malerei kennenlernt. Es sind eben diese Zeitgenossen, insbesondere Paul Cézanne und Henri Matisse, unter deren Einfluss Koligs Haupt- und Spätwerk steht. Die leuchtenden, teilweise geradezu grellen Farben dominieren insbesondere sein Spätwerk, etwa die Entwürfe für ein nicht realisiertes Fenster des Stephansdoms. Der expressive Pinselstrich, der vielerorts nahe an die Abstraktion führt, ist dagegen schon früh Koligs Markenzeichen. Die Farbe war stets Zentrum seines künstlerischen Schaffens: In einem Brief bezeichnet er seine Bilder als "Farbgedanken", die um ihn kreisen, seine Studenten, die er zwischen 1928 und 1944 an der Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste unterrichtet, nennt er "Apostel der Farbe". Farbrausch statt Politik Es ist ein Verdienst dieser Ausstellung, dass diese Stuttgarter Jahre, die durch den Quasirauswurf mit großer Enttäuschung Koligs und seinem Rückzug nach Nötsch endeten, nun beleuchtet werden. Julia Müller hat sie in ihrem Beitrag zum Katalog aufgearbeitet, ebenso erstmals publiziert wurde ein umfassendes Ausstellungsverzeichnis. Die Darstellung des menschlichen Körpers begleitete Kolig durch alle Schaffensphasen, insofern ist es richtig, dass das Leopold-Museum in seinem neugeschaffenen Grafikkabinett auch dessen Studienblätter zeigt. Im Vergleich mit den Haupträumen erkennt man spätestens hier das "Farbgenie" Anton Kolig, denn gegen die kolorierten Skizzen wirken die restlichen geradezu fad. Es lohnt sich allemal, Koligs Werk wiederzuentdecken, auch wenn es aus heutiger Sicht etwas brav wirkt. "Wo Kokoschka den Menschen infrage stellt, ist Kolig versöhnlich. Er stellt niemanden infrage", so Smola. Anstelle eines politischen oder philosophischen Anspruchs steht bei ihm: der Farbrausch. (Kathrin Heinrich, 26.9.2017) Bis 8. Jänner - derstandard.at/2000064749282/Anton-Kolig-im-Leopold-Museum-Das-Kreisen-versoehnlicher-FarbgedankenAnton Kolig im Leopold-Museum: Das Kreisen versöhnlicher Farbgedanken Kathrin Heinrich26. September 2017, 13:04 posten Das Leopold-Museum zeigt in einer umfassenden Retrospektive das malerische und zeichnerische Werk von Anton Kolig, einem der bedeutendsten Vertreter der österreichischen Avantgarde vor 1914. Im Fokus steht dabei die Leuchtkraft seines Spätwerks Wien – Man mag es kaum glauben, aber in der Tat ist im Leopold-Museum die erste, ausschließlich Anton Kolig gewidmete Retrospektive in Wien seit 1948 zu sehen. Es kann also durchaus von einer Wiederentdeckung seines Werks gesprochen werden, obwohl Kolig – Mitbegründer des Nötscher Kreises – als einer der wichtigsten Vertreter der österreichischen Avantgarde vor 1914 gilt. Rund 60 Gemälde und 50 Arbeiten auf Papier sind in der von Franz Smola kuratierten Schau zu sehen, ein Drittel der malerischen Werke stammt aus der Sammlung des Hauses. Während Kolig hauptsächlich bekannt ist für seine männlichen Aktfiguren – der Jüngling mit Amor (1911) etwa ist sonst in der Dauerausstellung zu sehen – legt die Retrospektive Wert darauf, alle Facetten seines OEuvres darzustellen. Einfluss des Wiener Umfelds Die frühen Gemälde des 1886 in Neutitschein in Mähren geborenen Künstlers zeigen deutlich den Einfluss seines Wiener Umfelds. Zwischen 1904 und 1912 studierte er an der Kunstgewerbeschule und der Akademie der bildenden Künste, lernte Oskar Kokoschka und die Nötscher Franz Wiegele und Sebastian Isepp kennen. Das Porträt der Mutter des Künstlers mit Jardinière aus dem Jahr 1911 mutet durch die geometrische Form der Figur secessionistisch an, man fühlt sich an Carl Moll, aber auch Koloman Moser oder Gustav Klimt erinnert. Zwischen 1912 und 1914 kann Kolig einen Studienaufenthalt in Paris ergattern, wo er die alten Meister studiert und die französische Malerei kennenlernt. Es sind eben diese Zeitgenossen, insbesondere Paul Cézanne und Henri Matisse, unter deren Einfluss Koligs Haupt- und Spätwerk steht. Die leuchtenden, teilweise geradezu grellen Farben dominieren insbesondere sein Spätwerk, etwa die Entwürfe für ein nicht realisiertes Fenster des Stephansdoms. Der expressive Pinselstrich, der vielerorts nahe an die Abstraktion führt, ist dagegen schon früh Koligs Markenzeichen. Die Farbe war stets Zentrum seines künstlerischen Schaffens: In einem Brief bezeichnet er seine Bilder als "Farbgedanken", die um ihn kreisen, seine Studenten, die er zwischen 1928 und 1944 an der Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste unterrichtet, nennt er "Apostel der Farbe". Farbrausch statt Politik Es ist ein Verdienst dieser Ausstellung, dass diese Stuttgarter Jahre, die durch den Quasirauswurf mit großer Enttäuschung Koligs und seinem Rückzug nach Nötsch endeten, nun beleuchtet werden. Julia Müller hat sie in ihrem Beitrag zum Katalog aufgearbeitet, ebenso erstmals publiziert wurde ein umfassendes Ausstellungsverzeichnis. Die Darstellung des menschlichen Körpers begleitete Kolig durch alle Schaffensphasen, insofern ist es richtig, dass das Leopold-Museum in seinem neugeschaffenen Grafikkabinett auch dessen Studienblätter zeigt. Im Vergleich mit den Haupträumen erkennt man spätestens hier das "Farbgenie" Anton Kolig, denn gegen die kolorierten Skizzen wirken die restlichen geradezu fad. Es lohnt sich allemal, Koligs Werk wiederzuentdecken, auch wenn es aus heutiger Sicht etwas brav wirkt. "Wo Kokoschka den Menschen infrage stellt, ist Kolig versöhnlich. Er stellt niemanden infrage", so Smola. Anstelle eines politischen oder philosophischen Anspruchs steht bei ihm: der Farbrausch. (Kathrin Heinrich, 26.9.2017) Bis 8. Jänner - derstandard.at/2000064749282/Anton-Kolig-im-Leopold-Museum-Das-Kreisen-versoehnlicher-Farbgedanken

Mittwoch, 27. September 2017

Deutsche Innerlichkeit.


C. D. Friedrich, Das Große Gehege bei Dresden, 1832

 Max Ernst, Europa nach dem Regen, 1947

Sie finden, das passt nicht zusammen? 
Dann sehn Sie sich's doch in Ruhe nochmal an.














Dienstag, 26. September 2017

Was am Komischen das Ästhetische ist.


Giandomenico Tiepolo

Schön sei, sagt Kant, was ohne Interesse gefällt. 

Daran mag die Klugheit stochern wie sie will, sie beißt auf Granit. Sie kann den Satz höchstens ausweiten: Ästhetisch ist, was ohne Interesse gefällt oder abstößt.

So geheimnisvoll wie das Ästhetische war immer auch das Komische, und manch einer meinte, sie müssten auch sonst etwas gemeinsam haben. 

Nicht sonst etwas, sondern gerade dies: Ob bejahend, ob verneinend - sie sprechen an. Und zwar, bevor Begriffe im Spiel sind. In den Begriffen sind Qualitäten ins Verhältnis gesetzt. Im ästhetischen Urteil werden Qualitäten als solche, ohne Begriff, ohne Verhältnis, begrüßt oder verabscheut. Der Begriff bezeichnet, welches Interesse das Subjekt an dieser oder der andern Qua- lität nehmen kann. Nämlich in welchem Verhältnis es zu ihnen steht.

Komik ensteht, wo Qualitäten, die als solche lediglich an sich sind, zu einander in ein Verhältnis geraten; nämlich durch ein In- teresse gesetzt werden: mit andern Worten, nicht länger qualitativ, sondern relativ erscheinen. Der komische Effekt - Affekt - entsteht, weil offen bleibt, ob die eine Qualität auf Kosten der andern, oder die andere Qualität auf Kosten der einen relati- viert wird: Es schwebt.

Und selbstverständlich sind sowohl der Effekt als auf der Affekt nur solange möglich, wie das Subjekt vom Interesse zu ab- 
strahieren weiß. Und diese Fähigkeit heißt Humor.




Freitag, 22. September 2017

Das Diptychon von Melun in der Berliner Gemäldegalerie.

aus Tagesspiegel.de, 22. 9. 2017


Gemäldegalerie zeigt Diptychon von Melun  
Die schöne Agnès
Eine kleine Sensation: Die Berliner Gemäldegalerie vereint Jean Fouquets berühmtes Diptychon von Melun. Das letzte Mal kamen die beiden Tafeln 1937 zusammen.
 
von

„Atemberaubend!“ „Spektakulär!“ „Eine einmalige Erfahrung!“ Die drei Herren auf dem Podium überschlagen sich mit ihren Ankündigungen der kleinen Schau, die mit ihrem Dutzend Bilder gerade ein Kabinett der Gemäldegalerie füllt. Müssen diese ansonsten gemäßigteren Kunsthistoriker deshalb so auf die Pauke hauen? Wer aber dann durch den schmalen Einlass in den verdunkelten Ausstellungsraum tritt, ist perplex. Ein spätmittelalterliches Doppelbild von solcher Schönheit, Widersprüchlichkeit, Spannung steht im Mittelpunkt der exquisiten Präsentation, dass es einem die Sprache verschlägt: Auftritt Jean Fouquet (ca. 1415 bis 1478/81), der wichtigste französische Maler dieser Epoche, und sein berühmtes Diptychon von Melun.

Die Madonna auf der einen und ihr Stifter samt Schutzpatron, dem heiligen Stephanus, auf der anderen Seite gehören zweifellos zusammen und befinden sich doch in deutlich getrennten Sphären . Gemalt sind sie mit einer solchen Delikatesse, dass man sich nicht sattsehen kann an den Details. Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen und Chef der Gemäldegalerie, sein Kurator Stephan Kemperdick und Manfred Schlink, Leiter des Königlichen Museums der Schönen Künste in Antwerpen, haben nicht zu viel versprochen.

 
Die Zusammenführung der in Berlin und Belgien aufbewahrten Teile des Diptychons ist eine kleine Sensation. Seit 1775 sind die beiden Tafeln getrennt, nachdem sie separat verkauft wurden, um von dem Geld die Stiftskirche Notre-Dame in Melun zu sanieren. Dort hing das Doppelbild in der Grabkapelle von Étienne Chevalier, Berater und Schatzmeister des französischen Königs Karl VII. Er selbst ist andächtig knieend, mit gefalteten Händen auf dem Gemälde zu sehen. Das letzte Mal kamen die Bilder zur Weltausstellung 1937 in Paris zusammen. Frankreich warb damit für sich, als Ausweis kultureller Größe. Die Antwerpener ließen ihr bestes Stück, die Madonna, nur deshalb vorübergehend ziehen, weil ihr Haus saniert wird; das Berliner Werk darf wegen seiner Fragilität gar nicht reisen. Auf seiner Rückseite befand sich einst ein weiteres Bild, vermutlich eine Kreuzigungsszene, von der man sich zwecks Gelderwerb damals ebenfalls trennte.

Überirdisch und doch von dieser Welt

Nun also hängen sie wieder nebeneinander, gerahmt in Gold mit Blau, wie es nur textlich überliefert ist. Für den gemeinsamen Auftritt erhielt das Berliner Bild eine neue Fassung, die sich in Form und Farbe nach dem Antwerpener Pendant richtet, um die Zusammengehörigkeit zu betonen. Wer nun vor den beiden Werken steht, staunt tatsächlich über den Bruch zwischen beiden: hier der Kirchenraum mit konkreten architektonischen Details im Hintergrund, dort eine vollkommen entrückte Sphäre mit roten und blauen Engeln. Die roten Cherubim tragen den Himmelsthron, die blauen Seraphim schweben hinzu. 

Doch so überirdisch diese Madonna mit ihrer elfenbeinfarbenen Haut erscheint, so abstrahiert durch ihre geradezu geometrische Körperlichkeit, die kugelrunde freigelegte Brust, so sehr ist sie doch von dieser Welt. Porträtiert ist mit größter Wahrscheinlichkeit Agnès Sorel, die Mätresse Karls VII., bekannt für ihre Klugheit, Schönheit und Freizügigkeit bei öffentlichen Auftritten. Während im Mittelalter die Verbindung von Religion und Erotik noch opportun erschien, etwa bei der Madonna lactans oder gut gebauten Märtyrern, deren Körper ebenso geschunden wie schön gemalt wurden, galt das im 19. Jahrhundert als verpönt.

Noch 1919 beschimpft der holländische Kunsthistoriker Johan Huizinga in seinem Kompendium „Herbst des Mittelalters“ die Madonna von Melun als Modepuppe. Ihren Haaransatz trägt sie ausrasiert, wie es damals typisch war. Das dazugehängte Bildnis einer jungen Frau von Petrus Christus aus dem Besitz der Gemäldegalerie zeigt den gleichen höfischen Schick: mit hoher Stirn und prallen Zügen. Gewiss, der fast über die Schulter gerutschte Hermelin, der vordrängende Busen der Madonna lenken ab von der Heiligkeit dieser Muttergottes. Doch Chevalier wusste sehr genau, was er mit dieser Erhebung der Mätresse seines Königs tat. „La belle Agnès“, wie sie auch hieß, war 1450 kurz vor Entstehung des Gemäldes mit gerade einmal 28 Jahren gestorben, während sie zum fünften Mal von Karl VII. schwanger war. Als ihr Nachlassverwalter huldigt Chevalier der Verstorbenen und erweist dem König zugleich seine Ehrerbietung.

Die erste Selbstdarstellung eines Künstlers

Noch ein drittes Werk ergänzt das Spitzentreffen, geliehen vom Louvre: ein Emailmedaillon, auf dem mit Gold ein Selbstbildnis Jean Fouquets samt seiner Signatur zu sehen ist. Es gilt als erste Selbstdarstellung eines Künstlers nördlich der Alpen. Das wenige Zentimeter große Werk befand sich vermutlich als Zierde neben anderen Medaillons auf dem Rahmen des Diptychons. Bis 1945 besaß auch das Berliner Kunstgewerbemuseum ein Exemplar dieser Reihe, das eine Szene aus dem Leben des Heiligen Stephanus zeigt. Durch Auslagerung der Sammlung, die Wirren des Krieges ging es verloren.



Trotzdem können die Staatlichen Museen noch mehr Fouquet auffahren: die Kreidestudie des Guillaume Jouvenel des Ursins aus dem Kupferstichkabinett. Das Kunsthistorische Museum in Wien gab seinen „Narr Gonella“ hinzu, für den die Autorschaft des französischen Malers allerdings als ungesichert gilt. Für Experten ist bereits die Zusammenschau dieser zwei Bilder spektakulär, führte doch die Ähnlichkeit der Nasen der beiden Männer zu einer Zuschreibung des Narren- Porträts an Fouquet. Nun lässt sich direkt vor den Bildnissen darüber streiten. Die Uffizien liehen eine Kreidezeichnung mit einem Bildnis von Agnès Sorel. Hier wiederum lässt sich die Ähnlichkeit mit der Madonna von Melun überprüfen, die auch nicht wirklich überzeugt.

Genau darin besteht der Reiz der kleinen Schau: dass sie sich auf ein Werk konzentriert, das bedeutendste und schönste der Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, wie Kemperdick schwärmt. Die entscheidenden Einflüsse darauf, aus Italien bei den Engeln und den Niederlanden bei der Porträtkunst, werden mit nur wenigen Beispielen belegt und wirken umso überzeugender. Was in den letzten beiden Jahren schon mit Holbein, Bosch, van Eyck in der Gemäldegalerie gelang, setzt sich damit fort: Kunstgeschichte lebendig erzählt – mit Inkunabeln.

Gemäldegalerie, Kulturforum, Matthäikirchplatz, bis 7. 1.; Di bis Fr 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Sa / So 11–18 Uhr. Katalog (Michael Imhof Verlag) 24,90 €.

Donnerstag, 21. September 2017

Der jüngste Banksy.

Two New Murals By The Street Artist Banksy Appear At The Barbican Centre

Porträt von Basquiat, der von der Metropolitan Police willkommen geheißen wird 
Mit Anleihen bei Basquiat und Haring.

Bei Barbican wurde eben eine Hommage an Basquiat eröffnet. Banksy habe sein Bild mit dem Hinweis kommentiert, bei Barbican würde jedes Graffitto im Handumdrehen entfernt; seins wird wohl eine Ausnahme bleiben.







Mittwoch, 20. September 2017

Chinesische Landschaftskunst.


Shenyang, Provinz Liaoning, China, von AFP, publiziert am 20. September 
Auf einem Reisfeld ist durch das Anpflanzen von verschiedenartigen Gewächsen ein traditionelles chinesisches Bild entstanden.


Montag, 18. September 2017

Ein anachronistischer Raffaelit.

Madonna and Child with St Petronius and St John the Evangelist, 1629

By Anne Leader

Bolognese painter Domenico Zampieri, known as Domenichino, died on 6 April 1641, the same day as his one of his greatest heroes, Raphael, who also died on this day almost a century earlier. A student of Denis Calvaert and a member of the Carracci Academy, Domenichino was one of the leading proponents of the classical style that dominated the Roman art scene in the early seventeenth century.  Like the Carracci, Domenichino looked to the High Renaissance master Raphael as a model and, like his predecessor, Domenichino received numerous important commissions for altarpieces, fresco cycles, and portraits.

Reference: Elizabeth Cropper. “Domenichino.” Grove Art Online. Oxford Art Online. Oxford University Press.<http://www.oxfordartonline.com/subscriber/article/grove/art/T023167>.
 
 ?

 Diana and her Nymphs, 1616-17

 Calling of the Apostles, 1624-5,

 Portrait of Monsignor Giovanni Battista Agucchi, 1615-20

 St. Cecilia Distributing Alms and St. Cecilia before the Judge, 1612-15

Last Communion of St Jerome, 1614

Nota. - Erst mit der Renaissance ist, mit der Erkenntnis der Kunst als einer eigenen Lebenssphäre, das Phäno- men der unterschiedlichen Stile ins Bewusstsein getreten. Erst seither ist es auch geschehen, dass Künstler einer anhebenden neuen Sichtweise absichtsvoll entgegentraten.

Mancher Maler hat die neuen Moden nur zögern mitgemacht. Ich bin kein Kunstkenner, aber dass die Caraccis nicht ganz in ihre Umgebung passen, ist mir schon irgendwie aufgefallen.

Doch dieser Domenichino ist schon etwas Besonderes. Dass ein Künstler sich seinem Zeitalter rundweg verweigern konnte, zeigt an, dass die Kunst bereits begonnen hatte, modern zu werden.
JE 

Sonntag, 17. September 2017

Ästhetik des Digitalen.


institution logo
Die Ästhetik des Digitalen. Symposium virtu.real, 29.09. bis 01.10.2017

Mag. Mark Hammer
Marketing und Unternehmenskommunikation
Fachhochschule St. Pölten


Neue Medientechnik wie etwa Virtual Reality und 360-Grad-Videos verändert auch die Kunst. Das Virtuelle wird zu einem alles umschließenden Netz aus Funktionen, Ideen, Imaginationen, Botschaften und Wunschvorstellungen. Es hat sich in den Alltag der Menschen eingeschrieben, schreibt die Geschichte der Menschheit neu und verortet Personen in permanenter Echtzeit. Das internationale Symposium der Fachhochschule St. Pölten, der Internationalen Gesellschaft für polyästhetische Erziehung (IGPE) und dem PolyArt StudioSvec (PASS) begibt sich auf eine Spurensuche nach der Ästhetik im Digitalen.

Das Symposium widmet sich unter anderem den Fragen, ob es in einer (digitalen) Welt des perma- nenten Augenblicks noch ein ästhetisches Bewusstsein und einen ästhetischen Bildungsauftrag gibt.

„Was auch immer uns in einer Welt des Virtuellen bindet, was schlussendlich bleibt, ist die Begegnung im Realen. Sie setzt uns mit Lebenswirklichkeit in Beziehung, verortet uns als Mensch. Zu solchen Begegnungen laden wir ein, zu offenen Gesprächen, zum fundierten Dialog, zum künstlerischen Experiment, um Standpunkte zu besuchen, Standortbestimmung vorzunehmen und – mithilfe der Medien und der Künste – gemeinsame Sprachen zu finden“, sagt Markus Wintersberger, FH-Professor für Experimentelle Medien am Department Medien und Digitale Technologien der FH St. Pölten und Mitorganisator der Veranstaltung.

Künstlerische Interventionen und inter-mediale Performances

Das Symposium richtet sich an Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Kunst und Neuen Medien und deren pädagogische Anwendungs- wie Ausbildungsbereiche. Es umfasst Impulsvorträge, Dialoge, Workshops, künstlerische Interventionen und inter-mediale Performances.

Die Keynotes zum Thema „Digitales Lernen – ein Paradigmenwechsel? Tickt die Jugend digital?“ halten Josef Buchner vom Projekt Virtuelle Pädagogische Hochschule, Rita Newman, Lektorin an der FH St. Pölten, zu Virtual Identity und die italienische Musikern, Künstlerin und Pädagogin Isabella Celentano zu „Polyästhetischer Erziehung“.

Psychologie und Ästhethik

Themensessions widmen sich der Ästhetik der Produktion, der psychologischen Ästhetik des Digitalen in Anwendungen, der Psychologie virtueller Akustik, einer kulturpsychologischen Sicht auf mediale Welten, internationalen Aspekten und Forschungsprojekten sowie der Unterrichtsforschung via Youtube. Neben der Fachtagung an der FH St. Pölten von Freitag bis Sonntag findet Freitagabend eine intermediale Performance im Foyer der FH St. Pölten und am Samstagabend im PolyArt Studio Svec (PASS) in Böheimkirchen statt.

Vor Beginn des Symposiums findet die Generalversammlung der Internationalen Gesellschaft für Polyästhetische Erziehung (IGPE) statt, die dieses Jahr ihr 35-jähriges Bestehen feiert. Das Symposium ist eine Veranstaltung der FH St. Pölten gemeinsam mit der Internationalen Gesellschaft für polyästhetische Erziehung und dem PolyArt Studio Svec (PASS).

Virtual-Reality-Storytelling der Zukunft

Die FH St. Pölten wird ihr Forschungs- und Kunstprojekt „Wearable Theatre. The Art of Immersive Storytelling“ zu Literatur, Storytelling und Medienkunst im virtuellen Raum vorstellen. Es untersucht „Virtual Reality“ (VR) auf ihr dramatisches, narratives und strukturelles Potential. Ziel ist das Erschließen und Nutzen des 360°-VR-Mediums als Erlebnisform für literarische Stoffe. Als Ausgangspunkt der Untersuchungen werden Autoren mit existenziell atmosphärischem Erzählton ausgewählt: Fjodor M. Dostojewski, Albert Camus und Max Frisch.

Schlüsselszenen der Romane „Die Dämonen“, „Der Fall“ und „Homo Faber“ dienen als Grundlage für den dramatischen und produktionstechnischen Adaptionsprozess von Figur und szenisch-strukturellem Handlungsverlauf in ein 360°-VR-Script. Ein interdisziplinäres Team aus Autorinnen und Autoren sowie aus den Bereichen Regie, Medienkunst, Schauspiel, Dramaturgie, Komposition und Medientechnik erforscht in diesem dreijährig angelegten Forschungslabor die Zusammenhänge zwischen Kunst und Technologie, Immersion (Eintauchen in VR) und Empathie sowie virtueller Realität und Literatur.

Symposium virtu.real – zur aesthetik des digitalen

29.09.2017 bis 01.10.2017, FH St. Pölten (Matthias Corvinus-Straße 15, 3100 St. Pölten) und PolyArtStudioSvec (Hochfeldstr. 21, 3071 Böheimkirchen)
Teilnahmegebühren: als Mitglied der IGPE: € 125,-, als Nicht-Mitglied der IGPE: € 150,-, als studierendes Mitglied der IGPE (bis 27 Jahre): € 65,-. Studierende können ein Teilnahmestipendium beantragen (Selbstkostenanteil: € 25,-).
Anmeldung und Details zum Programm: http://www.paeb.org

Fotos:
Projektfotos/Visualisierungen Wearable Theatre, Credit: FH St.Pölten / Wintersberger / Weiss
Porträt Markus Wintersberger, Credit: FH St. Pölten / Foto Kraus
FH St. Pölten: Martin Lifka Photography

Projekt „Wearable Theatre“
Das Projekt „Wearable Theatre“ wird im Rahmen des Programms zur Entwicklung und Erschließung der Künste (PEEK) durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanziert. Nationaler Forschungspartner des Projektes ist die OAA-Wien Konservatorium für Schauspiel.
https://wearabletheatre.fhstp.ac.at

Über die Fachhochschule St. Pölten
Die Fachhochschule St. Pölten ist Anbieterin praxisbezogener und leistungsorientierter Hochschulausbildung in den sechs Themengebieten Medien & Wirtschaft, Medien & Digitale Technologien, Informatik & Security, Bahntechnologie & Mobilität, Gesundheit und Soziales. In mittlerweile 17 Studiengängen werden rund 2.880 Studierende betreut. Neben der Lehre widmet sich die FH St. Pölten intensiv der Forschung. Die wissenschaftliche Arbeit erfolgt zu den oben genannten Themen sowie institutsübergreifend und interdisziplinär. Die Studiengänge stehen in stetigem Austausch mit den Instituten, die laufend praxisnahe und anwendungsorientierte Forschungsprojekte entwickeln und umsetzen.

Informationen und Rückfragen:
Mag. Mark Hammer
Fachverantwortlicher Presse
Marketing und Unternehmenskommunikation
T: +43/2742/313 228 269
M: +43/676/847 228 269
E: mark.hammer@fhstp.ac.at
I: https://www.fhstp.ac.at/de/presse
Pressetext und Fotos zum Download verfügbar unter https://www.fhstp.ac.at/de/presse.
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Anhang



Samstag, 16. September 2017

C. D. Fiedrich, II.

aus art, 4. 5. 2015                                                                                          Zwei Männer, die den Mond betrachten, 3. Fassung

Noch immer ein Held
Wälder, Felsen, Nebellandschaften: Seine Werke faszinieren Experten, begeistern Laien und erzielen Höchstpreise. Caspar David Friedrich gilt als wichtigster Maler der deutschen Romantik – und bis heute als modern und stilprägend.

Nebelverhangene Wälder, mystische Felsen, raue Meere: Caspar David Friedrich gilt als wichtigster Künstler der deutschen Romantik und Wegbereiter einer neuen Kunst- und Landschaftsauffassung Anfang des 19. Jahrhunderts. Bei Wanderungen in Pommern, Böhmen, in der Sächsischen Schweiz oder im Riesengebirge entstanden die Skizzen, aus denen er sich für seine suggestiven Gemälde bediente. Ostseeküsten im Mondschein, wilde Gebirgstäler, düstere Gräber oder Stadtsilhouetten im Morgendunst gelten Experten als subjektive Seelenbilder eines Künstlers in den Wirren zwischen Französischer Revolution und Restauration. 

 Mönch am Meer (restauriert)

"Er hat die Landschaftsmalerei neu erfunden, ihr zu Rang verholfen und versucht, eine neue Dimension zu geben", sagt die Greifswalder Kunsthistorikerin Susanne Papenfuß über den Maler, dessen Todestag sich am 7. Mai 2015 zum 175. Male jährt. Mit der emotionalen Aufladung der Bilder im Sinne einer Ideallandschaft traf er den Zeitgeist. "Er machte immer mehr aus der Realität." Dafür schob er Bildebenen wie Kulissen ineinander und zog mit dunklem Vordergrund den Blick in die Tiefe des Raums. Menschen sind meist von hinten abgebildet, werden in ihrer Versunkenheit zu Stellvertretern von Maler und Betrachter. Seine Meisterwerke wie "Kreidefelsen auf Rügen" (1818) oder "Hünengrab im Schnee" prägen den Begriff Romantik bis in die Gegenwart.

Traumata und Heimatliebe prägten Friedrichs Bilder

Friedrich kommt am 5. September 1774 in Greifswald als sechstes Kind eines Seifensieders und Kerzenziehers zur Welt. Als er sieben Jahre alt ist, stirbt die Mutter. Mit 13 verliert er einen Bruder, als der ihn beim Eislaufen vor dem Ertrinken rettet – ein lebenslanges Trauma. Als 16-Jähriger nimmt er Zeichenunterricht, ab 1794 studiert er an der Kunstakademie Kopenhagen, wo mit Lorentzen, Abildgaar und Juel drei der besten dänischen Maler der Zeit seine Lehrer sind.

Landschaft mit dem Rosenberg

1798 dann geht Friedrich nach Dresden, in die damalige Hochburg der Frühromantik. "Das Kulturbild und die Elblandschaft haben sein Werk stark geprägt", sagt Petra Kuhlmann-Hodick, Oberkonservatorin des Dresdner Kupferstich-Kabinetts. Zunächst verdient er sein Geld mit Prospektmalerei, 1799 ist er erstmals an der Akademieausstellung beteiligt. Immer wieder zog es ihn auch in seine vorpommersche Heimat zurück, das innige Verhältnis zur norddeutschen Landschaft prägte auch seine Kunst nachhaltig, sagt Papenfuß.

In Dresden macht ihn der Maler Philipp Otto Runge mit einem Kreis romantischer Dichter wie Novalis bekannt. Bei einer Ausstellung der Weimarer Kunstfreunde 1805 verleiht Goethe ihm einen Preis für zwei Gemälde. Nach einer Wanderung in Nordböhmen stellt Friedrich 1808 in seinem Atelier mit "Kreuz im Gebirge" sein erstes Ölgemälde aus. Am "Tetschener Altar" entbrennt ein Streit um die romantische Kunst zwischen Klassizisten und Romantikern.

  Böhmerwald mit Milleschauer, um 1810

Nach einer steilen Karriere geriet er ins Abseits

Bis 1820 dann steht der Künstler auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Preußens König und Russlands Zar zählen zu seinen Gönnern, er wird Mitglied der Akademien in Berlin und Dresden und heiratet Caroline Brommer, die als Rückenfigur auf vielen Gemälden erscheint. 1824 erhält Friedrich einen Lehrstuhl in Dresden, eine Professur bleibt ihm aber verwehrt. Laut Kuhlmann-Hodick galt er als trübsinnig, melancholisch, seine Bilder als gedankenvoll und schwer verständlich. Kollegen aber schätzten ihn. "Seine Bilder waren damals sehr gesucht, er erhielt viele Besuche hoher und geringer Kunstfreunde", erinnerte sich der Maler Carl Gustav Carus an seinen Freund und Lehrer. 

Als Friedrich 1830 neue Kunstströmungen negativ bewertet, gerät er ins Abseits. Nach einem Schlaganfall 1835 kann er nicht mehr malen. Als er 1840 stirbt, ist seine Kunst fast vergessen. Erst eine große Schau 1906 in Berlin führt zu einer Renaissance. Die anhaltende Faszination erklärt Papenfuß mit dem emotionalen Gehalt seiner Bilder. "Die Leute stehen davor und fühlen sich sofort angesprochen." 

(von dpa; Simona Block)


Abend

Freitag, 15. September 2017

Können Landschaften reden?


Sprechende Landschaften
aus art                                                                                                                                                                              Das Eismeer, 1823/24

Sprechende Landschaften
Statt biblische Geschichten zu illustrieren oder antike Stoffe zu bemühen, erfand Caspar David Friedrich seine Motive lieber selbst. Bis heute fesseln seine Bilder die Betrachter, weil sie sich hier selbst erkennen.

von Tim Sommer

Auch heute ist dieses seltsame Bildwerk kaum ohne leichten Schauder zu genießen. Caspar David Friedrichs "Tetschener Altar" hat die Form eines gotischen Fensters - allerdings in klassizistisch-mystischer Goldverbrämung. Geschnitzte Säulen tragen Palmwedel, vor denen Engelsköpfchen schweben, ganz oben leuchtet silbermild der Abendstern, während von unten das Auge Gottes prüfend blickt. Das Gemälde selbst glüht in wärmsten Tönen. Zwischen dunklen Fichten steht auf Felsengrund ein mit Efeu umranktes Kruzifix hoch im letzten Sonnenlicht, das in Streifen künstlich vor dem violetten, aufgewühlten Himmel strahlt.

Der Tetschener Altar (auch Das Kreuz im Gebirge, 1807/08) begründete Friedrichs Ruhm

Das wirkt doch alles etwas zu dick aufgetragen. Aber Vorsicht: Dies ist das Original, nicht zu verwechseln mit dem modernen Landschaftskitsch im fünften Aufguss, der die Wahrnehmung von heute aus beeinflusst. Vor 200 Jahren hatte das Abendrot seine Unschuld noch nicht verloren.

In den Weihnachtstagen 1808, als der schon 34-jährige Künstler das Bild - eines seiner ersten Ölgemälde überhaupt - im Lampenschein vor schwarzem Stoff drapiert in seiner Dresdner Wohnung präsentierte, war derselbe Altar so ungeheuer innovativ, so rührend und so provokant zugleich, dass die Kritiker und das Publikum hier ein neues Zeitalter dämmern sahen. "Es ergriff alle, die ins Zimmer traten. Die größten Schreihälse sprachen wie in einer Kirche", schrieb Helene von Kügelgen ihrem Mann Gerhard, einem bekannten Porträt- und Historienmaler seiner Zeit.

Vor dem "Tetschener Altar" waren Landschaftsansicht und Andachtsbild zwei völlig getrennte Welten mit eigenen Gesetzen und Tabus gewesen. Der Heiland am Gipfelkreuz im deutschen Mittelgebirge: undenkbar. Kammerherr Friedrich von Ramdohr, ein kluger und kenntnisreicher Kritiker, hat Caspar David Friedrich all seine vermeintlichen Fehler und Versäumnisse bezüglich des abendländischen Kunstgebrauchs haarklein nachgewiesen. Immerhin unterstellte er, hier wolle "die Landschaftsmalerei sich in die Kirchen schleichen und auf die Altäre kriechen". 

Ein Skandal, der Geschichte schrieb 

Der Maler, ein Freigeist von pommerscher Prägnanz, entgegnete kühl: "Wäre Friedrich auf der einmal gebahnten Straße einher gegangen, wo jeder Esel seinen Sack trägt, wo Hund und Katz der Sicherheit wegen wandelt, weil die berühmten Künstler der Vorzeit als Muster und Vorbilder für Jahrtausende da aufgestellt worden, wahrlich der Herr Kammerherr von Ramdohr hätte geschwiegen." Der Skandal ging als "Ramdohrstreit" in die Geschichte ein, der Kammerherr gilt seitdem als Mann von gestern, Caspar David Friedrich hatte einen soliden Ruf als Revolutionär erworben.

 Der Wanderer über dem Nebelmeer, um 1818

Der wohl wichtigste Maler, den Deutschland zur Kunstgeschichte zwischen Renaissance und Expressionismus beigesteuert hat, begeistert bis heute die Massen begeistern und spornt Exegeten zu Höchstleistungen an. Der Pionier der Romantik ist ein Faszinosum geblieben, seine besten Bilder funktionieren heute wie vor 200 Jahren ganz unmittelbar.

Dabei hatte sich von einem überragenden Talent lange nichts gezeigt. 1774 wurde Caspar David Friedrich als sechstes von zehn Kindern eines Seifensieders in Greifswald geboren, das damals zu Schweden gehörte. Schon früh bekam der Junge Unterricht bei dem örtlichen Universitätszeichenlehrer, kalligrafische Übungen sind aus dieser Zeit überliefert, der Art: "Wer nicht gehorchen lernt, lernt auch in der Folge nicht, auf vernünftige Art zu befehlen " Von 1794 bis 1798 besuchte er die Kopenhagener Akademie und kehrte dann zunächst nach Greifswald zurück, noch immer unschlüssig, ob er nun Figuren- oder Landschaftsmaler werden sollte. In einem aber scheint er sich sicher gewesen zu sein: Nichts drängte ihn nach Rom, dem Sehnsuchtsort aller Künstlerkollegen.

Friedrich ließ sich in Dresden nieder, wo schon seinerzeit die berühmteste Gemäldesammlung Deutschlands hing, von hier aus reiste er später ins Riesengebirge, in den Harz, ins Elbsandsteingebirge. Zunächst aber zog es den jungen Maler immer wieder in den heimatlichen Norden, hier zeichnete er die gotische Ruine des Klosters Eldena, die Silhouette von Neubrandenburg, Schiffe im Greifswalder Hafen. Und immer wieder Rügen: einzelne Steine am Strand, knorrige Eichen, Hünengräber, die Kreidefelsen von Kap Arkona. Großen Einfluss hatte der empfindsame Dichterpfarrer Gotthard Ludwig Kosegarten (1758 bis 1818), genannt der "Ossian von Rügen", der in Vitt schwärmerische Predigten am Ufer hielt.


Abtei im Eichwald, 1809-10 (restaurieret)

Auch der junge Maler Friedrich gab sich hier den Mächten der Natur mit Inbrunst hin, wie ein Zeitgenosse schildert: "Wenn ein Gewitter mit Blitz und Donner über das Meer daherzog, dann eilte er ihm, wie einer, der mit diesen Mächten Freundschaftsbund geschlossen, entgegen, auf den Felsenkamm der Küste oder ging ihnen nach in den Eichenwald, wo der Blitz den hohen Baum zerspaltete und murmelte da sein halblautes: 'wie groß, wie mächtig, wie herrlich'". Zum Lebensunterhalt trugen in dieser Zeit sehr kunst- und stimmungsvolle Sepiablätter mit Rügen-Ansichten bei. Sie verkauften sich gut und brachten Ehre, lösten aber kaum den höheren Anspruch ein, den der strenge Schwärmer an sich selber stellte.

»Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht.«

Friedrich war ein Kind des Empfindsamen Zeitalters, seine Jugend aber stand unter dem Zeichen der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege, die Europas Ordnung und Ideenwelt erschütterten. Die ältere Generation strebte, der Aufklärung folgend, unbeirrt zu Ganzheit und Klarheit, zum Ideal. Die Jugend versuchte, aus den Bruchstücken der alten Gewissheiten neue, vielleicht flüchtige Leitbilder für ein bewegliches Weltgefüge zu formen. Klassik und Romantik waren konkurrierende Strömungen der Zeit. In einem der wenigen Selbstbildnisse zeigt sich der 28-Jährige in der klassischen Pose des Melancholikers: Aufgestützter Arm, Blick nach oben, hin ins Nichts. Es bleibt Spekulation, ob tatsächlich der frühe Tod der Mutter, der Schwester und des Bruders, der ertrank, als er Caspar David aus dem Eis rettete, diesen Zug bestimmte, wie oft behauptet wird. Aber sicher ist, dass Friedrich auch als Melancholiker stramm protestantisch war: "Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht", so schreibt er, und verfügt ergänzend: "Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht."

Selbstbildnis mit aufgestütztem Arm, um 1802
 
Friedrichs "Tetschener Altar" war auch in Hinsicht auf den persönlichen Anspruch ein Durchbruch. Hier zeigt sich Friedrichs große Erfindung der "Ideenlandschaft" als freier Komposition von Gesehenem und Gedachtem. 

Friedrich fügt seine Bilder wie aus Bausteinen zusammen, oft verarbeitet er seine akribischen Skizzen eines Felsbrockens oder einer Tanne noch Jahrzehnte später in einem Gemälde. Der Bildaufbau folgt klaren Regeln, stets ist die Bildmitte oder der Goldene Schnitt betont, Symmetrien werden gesucht. Bäume, Kreuze, Schiffe, Felsen, gotische Gemäuer - die Motive werden planvoll auf der Bildfläche montiert. Segelschiffe an der Marktkirche von Halle an der Saale, die Backsteinruine von Eldena oder die Silhouette von Neubrandenburg vor dem Riesengebirge: Friedrich kompiliert nach Belieben seine Fragmente.

Mondaufgang am Meer, 1822

Die Methode ist offenkundig, ebenso der Umstand, dass Friedrich mit seinen Bildideen konkrete Aussageabsichten verband. Das hat Friedrichs Werk zu einem El Dorado für die Meisterdeuter gemacht. Der Berliner Romantik-Experte Helmut Börsch Supan meinte 1973 zart, das Eindringen in die Kunst Friedrichs sei "als belausche man einen Betenden, und nur die Anteil nehmende Erschütterung des Betrachters kann dieses Eindringen nachträglich rechtfertigen". Trotzdem entwickelte er dann aber einen handfesten Werkzeugkasten zur Friedrich-Deutung, nach dem "die Fichte als der gläubige Christ, der Felsen als der Glaube, das Wasser als der Tod", zu deuten sei. Auch hinsichtlich seines patriotischen und anlässlich einer Schau 2006 in Essen auch seines freimaurerischen Gehalts wurde Friedrichs Werks eingehend obduziert.

Der knorrige Mann mit dem mächtigen Backenbart wurde selbst zu einer Sehenswürdigkeit

Am Leben aber hält Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer", die "Abtei im Eichwald", den "Mönch am Meer", die "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes" oder die "Kreidefelsen auf Rügen", nicht das Drehbuch, sondern die Kameraführung.

Kreidefelsen auf Rügen, ca. 1818

Maler vor Friedrich haben die biblischen und antiken Stoffe nach Motiven durchsucht, in denen Urerfahrungen des Menschen bildhaft werden. Friedrich braucht dazu keine Geschichten. Er sucht die archetypischen Momente, so wie er sie selbst erlebt: Alleinsein, Zweisamkeit, Abschied, Ankunft. Und er inszeniert diese Situationen frei von jeder Konvention: Nur die Wirkung zählt. Das gibt seinen besten Bilderfindungen eine geradezu mythische Kraft, die sich immer wieder erneuert. Die winzigen Staffagefiguren der klassischen Landschafsmalerei ersetzt er durch Menschen in Rückenansicht. Perfekte Identifikationsfiguren für die Betrachter bis heute: So musst Du schauen, wenn Du die Welt wie Friedrich erleben willst.

Mit dem "Tetschener Altar" wurde der Maler schnell zu einem Helden der romantischen Bewegung. Dresden war 1806 kurzzeitig unter französischer Besetzung, Sachsen bis zur Völkerschlacht treuer Bündnispartner Napoleons. Friedrich war deutscher Gesinnung, und er zeigte das in seinen Bildern. Die altfränkische Tracht seiner Figuren galt als Bekenntnis zur nationalen Befreiungsbewegung, doch deren Ideen gerieten bald nach dem Sieg über Napoleon in Misskredit. "Die machen demagogische Umtriebe", kommentierte Friedrich trocken seine "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes" einem Besucher 1820.

Die Lebensstufen, ca. 1834. Das altersweise Schlüsselwerk zeigt den alten Friedrich im Kreis seiner Familie. Jeder Person auf seiner Lebensfahrt entspricht eines der Schiffe.
 
Bis zu seiner späten Heirat 1818 lebte Friedrich höchst spartanisch, doch immer mit Blick auf die Elbe. Die karge Einrichtung seines Ateliers war legendär: ein Stuhl, ein Tisch, eine Reißschiene an der Wand, sonst nichts. Auch wenn seine Kunst in den Zeiten der Restauration aus der Mode kam, besuchten doch viele durchreisende Intellektuelle den knorrigen Pommern mit dem mächtigen weißen Backenbart. Er wurde selbst zu einer Sehenswürdigkeit.

"Die Lebensstufen", sein altersweises Werk um 1834 zeigt den Maler als Rückenfigur im Kreis der Familie, jedem Menschen auf seiner Lebensfahrt entspricht ein Schiff auf dem Meer, Friedrichs Segler kehrt mit voller Ladung heim. 1840 starb Friedrich nach Jahren der Krankheit. Der Maler und Arzt Carl Gustav Carus bescheinigte dem Freund in seinem Nachruf, Friedrich habe mit "eisenfester Eigentümlichkeit" bis zuletzt "tief melancholische immer geistig lebende Romantik der Poesie in seinen Werken walten" lassen. "Die Kunst mag ein Spiel sein", hatte Friedrich gesagt, "aber sie ist ein ernstes Spiel." Nur er trägt auf den "Lebensstufen" noch die patriotische Tracht.
Kreuz und Kathedrale im Gebirge, 1812